Erhaltungssatzungen

Satzung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Baugesetzbuch (BauGB) zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung (Soziale Erhaltungssatzung) für das Gebiet “Eisenbahnstraße” (VI-DS-08221) Einreicher: Dezernat Stadtentwicklung und Bau

Satzung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Baugesetzbuch (BauGB) zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung (Soziale Erhaltungssatzung) für das Gebiet “Connewitz” (VI-DS-08250) Einreicher: Dezernat Stadtentwicklung und Bau

Satzung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Baugesetzbuch (BauGB) zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung (Soziale Erhaltungssatzung) für das Gebiet “Lindenau” (VI-DS-08251) Einreicher: Dezernat Stadtentwicklung und Bau

Satzung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Baugesetzbuch (BauGB) zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung (Soziale Erhaltungssatzung) für das Gebiet “Alt-Lindenau” (VI-DS-08252) Einreicher: Dezernat Stadtentwicklung und Bau

Satzung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Baugesetzbuch (BauGB) zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung (Soziale Erhaltungssatzung) für das Gebiet “Eutritzsch” (VI-DS-08253) Einreicher: Dezernat Stadtentwicklung und Bau

Satzung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Baugesetzbuch (BauGB) zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung (Soziale Erhaltungssatzung) für das Gebiet “Am Lene-Voigt-Park” (VI-DS-08258) Einreicher: Dezernat Stadtentwicklung und Bau

Aus der Fortsetzung der Ratsversammlung am 17.06.2020

Stadtrat Morlok (Freibeuter): “Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gerne etwas sehr grundsätzlich zu dem Thema Erhaltungssatzungen, zur Sinnhaftigkeit von Erhaltungssatzungen in der Stadt Leipzig und in den betroffenen Gebieten sagen. Ich möchte, bevor ich beginne, gerne noch einmal deutlich machen, dass diese grundsätzliche Kritik, die ich zu den Erhaltungssatzungen äußern werde, von den Piraten nicht mitgetragen wird. Wenn ich also im Folgenden von „wir“ und „uns“ spreche, dann nehmen Sie es bitte so wahr, dass die Piraten nicht inkludiert sind.

In der Tat, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Wohnungsmarkt in Leipzig hat sich gewandelt. Vor vielen Jahren hatten wir noch Leerstand, und Mieter haben händeringend – auch unter Inkaufnahme von sehr geringen und nicht kostendeckenden Mieten – Mietverträge abgeschlossen. Diese Situation hat sich in der Tat geändert. Diesen Leerstand haben wir nicht mehr. Es ist aber nicht so, wie Sie, Frau Dubrau, zu Beginn Ihrer Ausführungen dargestellt hatten, dass es in einer wachsenden Stadt weniger Wohnungen geben würde. Es gibt in Leipzig mehr Wohnungen als vor einigen Jahren. Vielleicht ist aber auch diese Wahrnehmung von Ihnen, dass es weniger Wohnungen gäbe, ein Grund dafür, dass Sie bei dieser Frage Erhaltungssatzungen so agieren, wie Sie agieren. Herr Professor Abraham, ich bin sehr dankbar für diese abgewogene Stellungnahme von Ihnen zum Thema Erhaltungssatzungen. Es ist richtig, dass sich alle Parteien auch im Wahlkampf für günstige Mieten ausgesprochen haben, aber nicht alle Parteien haben im Wahlkampf zur Umsetzung dieses Zieles auch Erhaltungssatzungen empfohlen. Wir haben es auf jeden Fall nicht.

Wenn es darum geht, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ist es überhaupt erst einmal sinnvoll, überhaupt Wohnungen zu schaffen, damit entsprechende Angebote in einer Stadt vorhanden sind. Mehr zu bauen, führt zu mehr Wohnungen und wahrscheinlich dann in der Folge auch zu günstigeren Mieten.

Wenn wir uns Diskussionen hier im Stadtrat in den letzten Jahren – oder auch noch länger – anschauen, meine ich, dass wir auch im Stadtrat dazu beigetragen haben, dass wir in Leipzig so wenige Wohnungen haben. Stellen Sie sich einmal vor, die Wohnungen auf dem bayerischen Bahnhof oder auf dem Freiladebahnhof wären nicht nur gebaut, sondern auch schon bezogen, dann hätte sich der Mietwohnungsmarkt in Leipzig deutlich entspannt.

Erhaltungssatzungen dienen, wie der Name schon sagt, nicht dem Mieterschutz, sondern der Erhaltung eines bestimmten Milieus. Auch wenn sie für diese sechs Gebiete rechtlich zulässig sein werden, bleibt ja immer die Frage, ob sie auch politisch sinnvoll sind in diesen sechs Gebieten, oder ob es denn vielleicht gerade ein Interesse geben könnte, ein gewisses Milieu in einem bestimmten Gebiet nicht zu erhalten. Auch das muss man sich anschauen. Und da hilft natürlich auch der Verweis, Herr Weber, auf die FDP in Bundesregierungen relativ wenig, weil wir uns die Gebiete eben vor Ort anschauen müssen und fragen müssen, ob eine Erhaltungssatzung in jedem Gebiet sinnvoll ist.

Ich könnte jetzt – unter Vorlage der Gutachten, die ja den Satzungen beigefügt sind – für jedes der einzelnen Gebiete darlegen, warum aus unserer Sicht dies in den jeweiligen Gebieten nicht sinnvoll ist. Ich müsste mich jetzt zu jeder Satzung zu Wort melden und dort fünf Minuten reden. Das will ich jetzt aber nicht tun. Ich will es exemplarisch am Beispiel der Eisenbahnstraße tun, bitte um Verständnis dafür, dass das was ich exemplarisch für die Eisenbahnstraße sage, dann nicht eins zu eins für alle anderen Gebiete auch so gilt, weil die ja etwas verschieden sind. Sonst müsste ich das hier sechsmal tun. Ich mache es einmal für die Eisenbahnstraße und werde wahrscheinlich auch die fünf Minuten etwas überschreiten.

Wenn man sich die Umfrage in dem Gutachten anschaut, wie denn das Verhältnis der Menschen zu dem Gebiet eingeschätzt wird, gibt es auf der Seite 67 die Fragen nach einem geplanten Umzug im aus dem Gebiet oder im Gebiet Eisenbahnstraße. Da wird also gefragt:

Was sind denn Gründe für einen Umzug?

In der Tat geben 3,9 Prozent der Befragten als Grund für einen möglichen Umzug an, dass die Wohnung modernisiert werden könnte und dann zu teuer würde; 3,9 Prozent immerhin. Allerdings geben in demselben Gebiet 14 Prozent persönliche Gründe für einen Umzug an. 12 Prozent geben berufliche Gründe für einen Umzug an. Und nahezu 15 Prozent geben als Gründe für einen Umzug die Unzufriedenheit mit dem Wohnumfeld an, was ja ein bisschen etwas mit Milieu zu tun hat, was man ja eigentlich erhalten möchte.

Wenn wir uns einmal anschauen, wo die Menschen hinziehen wollen: Klar, wer sich beruflich verändern muss, außerhalb von Leipzig, zieht weg. Aber es gibt ja viele Menschen, die in Leipzig bleiben wollen. Dann wollen von den Menschen, die umziehen und in Leipzig bleiben wollen, 35 Prozent aus der Eisenbahnstraße wegziehen und nur 20 Prozent in der Eisenbahnstraße bleiben. Dann frage ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau Dubrau, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister: Ist es denn wert ein solches Gebiet, ein solches Milieu zu halten, wo die Mehrzahl der Menschen, die umziehen wollen, es vorziehen würden, aus diesem Gebiet wegzuziehen? Ist das wirklich erhaltenswert?

Wenn wir sehen, dass zum Beispiel die Gebiete, wo wir Erhaltungssatzungen beschließen wollen, die sozialen Brennpunkte teilweise in der Stadt Leipzig wiedergeben, die Gebiete mit hohen Kriminalitätsraten sind, dann müssen wir uns auch die Frage stellen, ob es Ziel von Erhaltungssatzungen sein kann, dieses Milieu zu erhalten. Unabhängig davon, dass man sie rechtlich beschließen kann, heißt es noch nicht, dass sie politisch sinnvoll sein mögen. Wenn man dann in einem Gebiet der Eisenbahnstraße die Kriminalitätsrate sogar für so dramatisch ansieht, dass man eine Waffenverbotszone einrichten muss, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, würde ich alles daransetzen, dass durch Veränderung, durch Durchmischung dieses Problem gelöst wird, anstatt es durch eine Erhaltungssatzung zu zementieren.

„Wer nicht stehen bleibt, fällt zurück.“ Das passt gut auf das Thema Erhaltungssatzungen. Es ist ja nicht so, dass die Nachfrage nach den Standards, die in den Gebieten nicht erlaubt werden sollen, in Leipzig nicht vorhanden ist. Sie ist sehr wohl da; nur die Menschen, die diese Standards haben wollen, ziehen woandershin. Das heißt doch, wir haben eine Entmischung in diesen Gebieten. Wer es sich leisten kann, zieht raus, andere ziehen nach, die es sich nicht leisten können, Strukturen verfestigen sich, und wir werden in 20 Jahren – wenn wir Glück haben – mit Hilfe eines Förderprogramms des Bundes dann diese Gebiete wieder mit viel Geld auf den Stand des Leipziger Durchschnittsniveaus bringen.

Aus diesen Gründen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir der Auffassung, dass in der besonderen Situation der Stadt Leipzig Erhaltungssatzungen keine sinnvolle Maßnahme sind. Wenn man sie dann macht, dann sollte man sie aber bei den Kriterien so gestalten, dass sie auch für die Akteure praktikabel sind.

Herr Oberbürgermeister, ich habe vernommen, dass Sie gesagt haben: „Lass uns doch einmal über Kriterien in den Ausschüssen reden.“ Es ist jetzt 21.10 Uhr, wir sind schon zehn Minuten über der Zeit. Angesichts dieser Tatsache würde ich die Diskussionen um die Kriterien auch mit den Änderungsanträgen meiner Fraktion und der FDP nicht führen wollen und würde Sie darum bitten, diese beiden Änderungsanträge als Anträge heute ins Verfahren zu verweisen, dass sie auch Gegenstand der Beratungen in den Ausschüssen sein können. Dann hoffen wir, dass man durch Argumente doch noch überzeugen kann und am Ende etwas Besseren herausbekommt, als wir heute vorliegen haben. – Vielen Dank.”

 

Stadtrat Morlok (Freibeuter): “Ich hatte ja gedacht, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollten heute nicht über die Kriterien reden. Ich habe damit zumindest nicht angefangen. Wenn aber dann die Kriterien in die Debatte eingeführt werden und die Diskussion darüber, dann sollte man aber auch bei dem bleiben, was der Oberbürgermeister in seiner Dienstberatung beschlossen hat.

Und, Herr Neuhaus, wenn Sie kritisieren, dass man einfach noch einmal Wärmedämmung an die Wände klatscht, dass das auch irgendwann gesamtenergetisch nicht mehr sinnvoll ist, da haben Sie ja vollkommen recht. Wenn wir aber hineinschauen, was im Einzelfall eben genehmigungsfähig ist, dann ist es eben genau das „an die Wände Klatschen“ von Wärmedämmung. Das wollen Sie im Einzelfall genehmigen. Den Einbau eines neuen Brenners im Keller unten, um eine effizientere Warmwasser- und Heizungsversorgung zu gestalten, dies wollen Sie im Einzelfall aber nicht genehmigen. So steht es in den Kriterien gerade drin, nämlich nur dann, wenn es eine staatliche Förderung dafür gibt.

Das sind doch genau die Widersprüche, Herr Oberbürgermeister, in den Kriterien, über die wir reden müssen. Dass man mit den Kriterien keine Politik machen kann, ist uns schon klar, aber wir sollten doch widerspruchsfrei sein. Ich kann nicht erkennen, warum Styropor an der Fassade im Einzelfall genehmigungsfähig ist, aber eine neue Therme unten im Keller eben nicht. Darum müssen wir miteinander reden. – Vielen Dank.”

(Es gilt das gesprochene Wort)