Anfrage:
In § 8 (3) 1 PBefG heißt es: „Der Nahverkehrsplan hat die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen.“
Hierzu fragen wir:
- Welche Straßenbahnhaltestellen erfüllen heute bereits die vollständige Barrierefreiheit?
- Welche Haltestellen werden diese Anforderungen an die Barrierefreiheit bis 2022 erfüllen?
- Welche Haltestellen werden diese bis 2022 nicht erfüllen? Und warum nicht?
- Welche Kosten sind mit der vollständigen Umsetzung des Ziels verbunden?
- Warum wurden neue Haltestellen in jüngerer Vergangenheit eingerichtet, ohne diese barrierefrei zu gestalten (bspw. Haltestelle Springerstraße der Linie 12)?
- Wie wird die Stadt Leipzig die LVB bei der Zielerreichung unterstützen (bspw. Sonderinvestitionszuschuss)?
- Wie ist der Stand bei S-Bahn-Haltestellen sowie Regionalbahnhaltestellen im Stadtgebiet?
- Droht im Falle der Nichtumsetzung eine Ersatzvornahme durch die Rechtsaufsicht?
Anfrage im Allris
Antwort (mündlich in der Ratsversammlung):
Bürgermeisterin Dubrau:
Zu den Fragen 1 und 2:
Rund zwei Drittel der Straßenbahnhaltestellen in Leipzig sind bereits barrierefrei angelegt, ein sehr gutes Ergebnis in vergleichsweise kurzer Zeit. Rund 80 Prozent des Fahrgastverkehrs werden über diese Haltestellen abgewickelt. Wir werden dem Protokoll eine Anlage beifügen, die zwei lange Listen enthalten: zum einen alle barrierefreien Straßenbahnhaltestellen im gesamten Netz der LVB, also inklusive derjenigen, die sich außerhalb des Territoriums der Stadt Leipzig befinden, und zum anderen alle geplanten Baumaßnahmen für Straßenbahnhaltestellen, die bis 2024 barrierefrei gebaut oder umgebaut werden. Die Haltestellen, welche voraussichtlich bis 2022 fertiggestellt werden, sind dort mit Fettdruck hervorgehoben.
Zur Frage 3.
Der Ausbau der bis 2022 noch nicht barrierefreien Haltestellen wird nach Maßgabe der personellen und finanziellen Ressourcen weiter fortgesetzt. Der sich in der Fortschreibung befindliche Nahverkehrsplan wird dazu Ausnahmeregelungen definieren, da es weder finanziell noch hinsichtlich der Vielzahl der dafür notwendigen Baustellen und Sperrungen machbar sein wird, bis 2022 alle Haltestellen im Stadtgebiet barrierefrei auszubauen.
Zur Frage 4.
Im Rahmen der Bewertung der Mobilitätsszenarien wurde der Aufwand zur Herstellung der vollständigen Barrierefreiheit im Haltestellennetz von Straßenbahn und Bus über pauschale Ansätze berechnet und auf 135 Millionen Euro geschätzt. Davon entfallen 120 Millionen Euro auf Straßenbahnhaltestellen und 15 Millionen Euro auf Bushaltestellen.
Zur Frage 5.
Der barrierefreie Ausbau einer Haltestelle, unabhängig ob Neu- oder Umbau, ist in der Regel auch mit der Erneuerung der Gleisanlagen verbunden, um sowohl die Nutzbarkeit der Haltestelle durch die Straßenbahn als auch die der Straße für den MIV gewährleisten zu können.
Hieraus resultieren in aller Regel ein umfangreicher Planungsaufwand mit einem großen Zeitbedarf wie auch weitere Folgemaßnahmen wie Straßenbau oder Leitungsumverlegung, sodass ein hoher Finanzaufwand mit derartigen Vorhaben verbunden ist. – Sie werden sich vielleicht erinnern, dass wir den Umbau der Haltestelle „Diakonissenkrankenhaus“ gemeinsam mit Investoren finanziert haben. Dieser Umbau hat über 1 Million Euro gekostet.
Durch den Freistaat Sachsen werden Verbesserungen der Straßeninfrastruktur – hierzu zählt natürlich auch eine barrierefreie Haltestelle – mit Fördermitteln unterstützt. Gleichzeitig ist eine derartige Förderung jedoch mit einer Bindungsfrist von 25 Jahren verbunden, in der ein erneuter Umbau in der Regel die Rückzahlung der Fördermittel zur Folge hat. Aus dieser Randbedingung folgt, dass aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten die Erneuerung von Gleisanlagen vonseiten der LVB erst bei einem entsprechenden Verschleiß vorzusehen ist, dass aufgrund der Bindungsfristen, die sich aus der Förderung ergeben, eine Betrachtung des Gesamtstraßenraums sowohl im Haltestellenbereich selbst als auch der angrenzenden Streckenabschnitte erforderlich ist, dass oftmals ein Mitbau der Stadt erforderlich ist und dass ein entsprechender zeitlicher Vorlauf – dieser beträgt in der Regel vier Jahre – für die Planung notwendig ist, um umfängliche und tatsächlich zukunftssichere Lösungen zu schaffen.
Im Falle der in der jüngsten Vergangenheit neu, jedoch nicht barrierefrei errichteten Haltestellen Springerstraße und Am Viadukt erfolgte die Einrichtung aufgrund eines hohen Nachfragepotenzials. In der Springerstraße gibt es große Haltestellenabstände trotz dichter Wohnbebauung und einer neu eingerichteten Kita. Am Viadukt ist die unmittelbare Erreichbarkeit des Einkaufsmarkts Kaufland zu gewährleisten. Der Gleiszustand war zu damaliger Zeit so weit in Ordnung, dass weder in der Gohliser noch in der Georg-Schumann-Straße eine Erneuerung der Gleise notwendig war. Zudem fehlten sowohl Planungsvorlauf, um eine ausgereifte Lösung zu erarbeiten, als auch finanzielle Mittel, um den Bau auf die angrenzenden Streckenabschnitte auszuweiten. Um das Angebot zu verbessern, erfolgte die Einrichtung von zwei nicht barrierefreien Haltestellen.
Es gibt eben immer nur zwei Möglichkeiten: Entweder errichtet man die Haltestelle quasi als Provisorium sofort, oder man wartet so lange, bis die Straßenbahnschienen derart verschlissen sind, dass sie unbedingt erneuert werden müssen. In diesem Fall gab es die eindeutige Entscheidung: Wir richten an diesen beiden Stellen eine nicht behindertengerechte Haltestelle ein.
Zur Frage 6.
Neben den bestehenden Finanzierungsbausteinen unterstützt die Stadt Leipzig die LVB, indem sie Vorhaben der LVB zum barrierefreien Ausbau von Haltestellen planerisch begleitet und ihre Mitbauanteile straßenmäßig zur Verfügung stellt.
Zur Frage 7.
Im S-Bahn- und im Regionalverkehr werden insgesamt 36 Zugangsstellen im Leipziger Stadtgebiet bedient. Davon sind 28 barrierefrei. Zwei weitere Zugangsstellen, in Thekla und Anger-Crottendorf, die sich derzeit noch im Bau befinden, werden bis 2021 fertiggestellt. Außerdem werden die neuen Haltestellen „Essener Straße“ – Inbetriebnahme in 2018 – und „Mockauer Straße“ – Inbetriebnahme in 2019 – barrierefrei sein.
Zur Frage 8.
Die Neufassung des Personenbeförderungsgesetzes vom 01.01.2013 formuliert den Auftrag an den Nahverkehrsplan, „für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen“. Diese Frist gilt nicht, „sofern in dem Nahverkehrsplan konkret Ausnahmen benannt und begründet werden.“ Im Zuge der Fortschreibung des Nahverkehrsplans wird daher eine entsprechende Ausnahmeregelung benannt.
Stadträtin Gabelmann (Freibeuter):
Danke für die umfangreiche Antwort. – Ich entnehme Ihren Worten, dass wir, wenn der Schienenverschleiß noch nicht so weit fortgeschritten ist, auch künftig nicht barrierefreie Haltestellen anlegen werden.
Bürgermeisterin Dubrau:
Ja, das könnte passieren, wird aber der absolute Ausnahmefall sein.
Stadträtin Gabelmann (Freibeuter):
Ich wollte nur wissen, ob dem so ist oder ob wir den Cut machen und sagen: Ab jetzt auf gar keinen Fall mehr. – Die zweite Frage ist: Wann rechnen Sie mit einer vollständigen Umsetzung der Barrierefreiheit?
Bürgermeisterin Dubrau:
Das hängt natürlich weitestgehend von den Finanzierungsmöglichkeiten ab. Es lässt sich nur schwer so weit in die Zukunft schauen.
Stadträtin Gabelmann (Freibeuter):
Eigentlich müsste es ja dann so weit sein, wenn die letzte Schiene so verschlissen ist, dass neu gebaut werden muss.
Bürgermeisterin Dubrau:
Das dauert aber noch ein paar Jährchen.
[…]