Rede zum Doppelhaushalt – Ute Elisabeth Gabelmann

Aus der Ratsversammlung am 09.11.2022

“Liebe Kollegen, der letzte Haushalt stand für uns Freibeuter Stadträte unter dem Motto: “Maßvoll haushalten, nachhaltig investieren.” Drei Jahre Corona und einen Angriffskrieg auf die Ukraine später ist klar: Das erhoffte Zurück zur Normalität gibt es nicht. Man bekommt jedoch den Eindruck, dass das vielen sowohl hier im Rat als auch in der Bevölkerung, der Wirtschaft oder bei Interessenverbänden noch nicht ganz klar ist. Auch Deutschland ist nun mal als Teil der Weltgemeinschaft mittelbar in den Angriffskrieg involviert und daher sind aktuelle und künftige Wohlstandsverluste und Versorgungsengpässe nichts Ungewöhnliches.

Sie können daher auch nicht vollständig von der öffentlichen Hand ausgeglichen werden. Die Rufe nach dem Staat, der für alles einspringen soll, sind daher unrealistisch und weltfremd. Wir müssen künftig sehr streng haushalten, können nur noch ganz gezielt investieren. Investitionen schaffen Werte. Sie sind in die Zukunft gerichtet und stehen der kommenden Generation zur Verfügung. Ich beschreibe es häufig so: In der Politik pflanzt man Bäume, an deren Ästen man nie schaukeln wird. Daher liegt auf nachhaltigem Haushaltshandeln für uns auch weiterhin der Schwerpunkt.

Preissteigerungen, Planungsfehler – ständig werden wir mit Mehrausgaben bei Bauprojekten konfrontiert. Auf absehbare Zeit stehen uns keine Haushaltsausgabenreste zur Verfügung, die uns früher dabei halfen, auch unterjährig Mehrbedarfe geschmeidig abzufedern. Wir lehnen es als politisch und wirtschaftlich unbedingt geboten, die Haushaltsansatz bei Hoch- und Tiefbaumaßnahmen, also die Gelder für unsere wichtigen Großprojekte zu einem Zehntel zu sperren. Mit unserem Antrag wollen wir verhindern, dass bereits begonnene Projekte aufgrund von Kostensteigerungen nicht abgeschlossen werden können und somit zu Investitionsruinen werden.

Dennoch sehen wir durchaus Bedarf für maßvolle Mehrausgaben, und zwar im Bereich Einbürgerung. Diese ist eine kommunale Pflichtaufgabe, der wir derzeit nur äußerst mangelhaft nachkommen. Wir erkennen daher die Notwendigkeit von zwei weiteren Stellen sowie zwei Befristungen. Dies soll sicherstellen, dass der Antragsstau abgearbeitet wird. Und diesen Mehrbedarf halten wir nicht nur für vertretbar, sondern eben für nachhaltig.

Der jetzt vorliegende Haushalt wirft aber auch grundlegende Fragen auf: Ist denn die Pro-Kopf-Verschuldung überhaupt ein sachgerechtes Kriterium? Wir übernehmen als Oberzentrum Aufgaben für die umliegenden Landkreise und Kommunen, haben aber in Summe die gleiche Obergrenze. Ist das wirklich sachgerecht? Diese Obergrenze überschreiten wir nicht grundlos oder aus Lust und Laune, sondern vor allem aufgrund von Investitionen in Schulen und Kitas. Derzeit heißt es, die Landesdirektion würde das akzeptieren. Aber wollen wir uns bei dieser Sachlage wirklich in die Abhängigkeit von der Landesdirektion begeben? Hier bedarf es klar abgegrenzter, schriftlich fixierter Regelungen.

Vor ziemlich genau zwei Jahren stand mein geschätzter Fraktionskollege Sven Morlok hier und appellierte an alle Stadtratsfraktionen, die kommenden zwei Jahre zu nutzen und gemeinsame Konzepte für die Reduzierung der laufenden Ausgaben zu erarbeiten. Er sprach über die Kraft, Nein zu sagen. Nicht nur werden wir alle zu vielen Änderungsanträgen Nein sagen müssen. Auch in den nächsten Jahren werden wir zu vielen Bittbriefen, die die finanzielle Unterstützung der Stadt Leipzig fordern, Nein sagen müssen.

Wir müssen, liebe Kollegen, wir müssen So richtig scheint das mit Blick auf den Haushalt und die vorliegenden Änderungsanträge noch nicht jedem bewusst zu sein. Die ratlose Frage mancher Stadträte, wie man das Neinsagen denn – Zitat – mit Blick auf die Stadtratswahl der eigenen Klientel verkaufen könne, hinterlässt Kopfschütteln. Wahr ist, dass es derzeit keine Kürzungen im Haushalt gibt. Kein Jugendclub wird geschlossen, kein Verein aus der Förderung gestrichen. Wahr ist aber auch, dass sich die ausbleibenden Erhöhungen natürlich de facto für die meisten wie eine Kürzung anfühlen und auswirken werden.

Die globale Sachlage macht auch vor der Stadt Leipzig nicht Halt. Bei der Einbringung des Haushalts hat uns unser Kämmerer im Sinne der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit auch über Risiken und faule Eier unterrichtet, die sehr wohl dafür sorgen können, dass uns das mühsam geschnürte, gerade noch genehmigungsfähige Paket noch um die Ohren fliegt. Bisher ließ sich mit den Ausgaberesten noch bequem einiges querfinanzieren und Tatsachen wie sinkende Gewerbesteuern kaschieren. Das ist jetzt vorbei. Hatten wir im vergangenen Haushalt noch auf Kürzungen bei den laufenden Ausgaben verzichtet und bei den Investitionen etwas auf die Bremse getreten, so sehen wir uns jetzt mit einem Haushalt konfrontiert, der uns praktisch keine Entscheidungsspielräume mehr lässt. Ja, wir “dürfen” energiepreisbedingte Mehrausgaben tätigen und ja diese müssen im Ergebnishaushalt nicht gedeckt werden. Aber (!) diese müssen (!) bis 2032 zurückgezahlt werden. Uns allen muss aber nach den Jahren 20, 21 und 22 klar sein, dass die nächsten Jahre in ihrem Verlauf nicht mal ansatzweise vorhersehbar sind. Wir belasten also blind die nächsten vier Haushalte und geben damit den uns nachfolgenden Stadträten die Hypothek mit, nicht nur unsere Schulden abzuzahlen, sondern dies zusätzlich zu einem genehmigungsfähigen im Haushalt zu tun. Das muss uns bewusst sein, oder manchen mag es auch egal sein, weil dieser Zeitpunkt ja praktischerweise erst nach der nächsten Wahl liegt.

Unsere Zustimmung zum Haushalt insgesamt wird also im Wesentlichen von zwei Dingen abhängen. Das wäre jetzt die To-Do-Liste für den Kämmerer. Gibt es belastbare, klare, schriftlich dokumentierte und vor allem sachlich- fachlich nachvollziehbare Absprachen mit der Landesdirektion zur Überschreitung der Pro-Kopf-Verschuldung. Und: sind die auf uns zukommenden Belastungen für die Folgejahre nicht nur mit ganz viel Augen zudrücken, sondern auch ehrlichen und aufrichtigen Herzens vertretbar?

Ich wünsche daher uns allen in den kommenden Beratungen gute Nerven, Augenmaß und den Mut zu auch schmerzhaften Entscheidungen und vor allem die Kraft, Nein zu sagen.”

(Es gilt das gesprochene Wort