Verbesserung von Familienfreundlichkeit in der Ratsarbeit

Verbesserung von Familienfreundlichkeit in der Ratsarbeit (VII-A-06594)
Einreicher: Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Fraktion Die LINKE, SPD-Fraktion, Stadtrat Köhler, Stadtrat Matzke
dazu Änderungsantrag (VII-A-06594- ÄA-02) Einreicher: Stadtrat Gebhardt, Stadträtin Gruner, Stadträtin Heller, Stadträtin März, Stadtrat Matzke

Aus der Ratsversammlung am 18.05.2022

Stadtrat Matzke (Freibeuter):Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Sehr geehrte Beigeordnete! Sehr geehrte Mitglieder und Kollegen! Sehr geehrte Bürger! Ich bin der Nachrücker von Franziska Rudolph. Einmal ganz davon abgesehen, was Hinderungsgründe und Vorlagen sind – als es bei mir zur Sprache kam, war das erste, was ich gemacht habe, meine Frau zu fragen, ob das überhaupt möglich wäre, dass ich als Nachrücker gelte. Denn ein Zeichen, familienfreundlich zu sein, war die Übernahme des Mandats nicht. Das wusste ich schon vorher.

Wer es noch nicht kannte, der wusste es spätestens im Jahre 1998. Das war das Wort „Gedöns“. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder bezeichnete das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend als Ministerium für Familie und Gedöns. Die Leute waren entsetzt. Denn Gedöns ist im Deutschen etwas, das überflüssig ist.

So fern mir dieser Mensch auch ist: In puncto Familienfreundlichkeit hier im Stadtrat zu Leipzig prägt sich mir dieser Gedanke eben auf, dass es sich hier um etwas handelt, was eben überflüssig ist, also Gedöns. Denn ein halbes Jahr ist quasi nichts passiert. Als wir, die Antragsteller, den Antrag auf die Tagesordnung setzen ließen, musste schnell und eifrig von höchster Stelle ein Verwaltungsstandpunkt geschaffen werden, der zu keinem konkreten Punkt Stellung nimmt, sondern nur sagt, dass er bald etwas Konkreteres liefern will, und zwar nach der Sommerpause – dann also, wenn alle so allmählich nur noch über den nächsten Haushalt sprechen und dieses Thema vielleicht wieder als Gedöns oder – schöner – sekundär abgetan wird.

Das darf es aber nicht sein. Es ist höchst prioritär. Wir arbeiten hier gerade für die nächste Legislatur dieses Rates. Wir wollen die Breite der Gesellschaft dieser wunderbaren Stadt hier abbilden. Das geht nun einmal nicht, wenn man im Ausschuss Stadtentwicklung und Bau von einer Sitzungszeit von durchschnittlich ca. vier Stunden ausgeht und dann nach Ablauf dieser vier Stunden kein Ende in Aussicht ist.

Die Digitalisierung der Gremienarbeit infolge der Pandemie hat uns der Familienfreundlichkeit ein kleines Stück nähergebracht. Die Intention dieses Antrags war es, das ganz allgemein in einen konkreteren Rahmen zu gießen. Und was sagt uns die Verwaltung? Sie sei mit der Hauptsatzung befasst gewesen. Wenn das das vorrangigere Ziel ist, dann sind hier bald nur noch Räte vertreten, die sich gerne und bis in die Nachtstunden mit dem Thema Hauptsatzung beschäftigen und nicht die Breite der Gesellschaft abbilden.

Es soll ein Konzept bis zum dritten Quartal 2022 bzw. nach der Sommerpause erarbeitet werden. Im Grundstücksverkehrsausschuss musste ich vor kurzem lernen, dass zum Beispiel die Konzepterstellung für die dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen ein halbes bis ein ganzes Jahr dauert. Nun ist schon ein halbes Jahr ohne wesentliche Arbeit vergangen. Wie lange dauert das denn noch?

Alle Termine im Rahmen der Stadtratstätigkeit sowie der Tätigkeit von Stadtbezirksbeiräten und Ortschaftsräten sollen gemäß unserem Antrag planbar und verlässlich sein. Es ist für alle Termine auf der Tagesordnung eine Endzeit anzugeben, zu der die restliche Tagesordnung im Bedarfsfall verschoben werden muss. Ein zusätzlicher Sitzungstermin soll durch die etwaige Verschiebung von Tagesordnungspunkten nicht entstehen, sondern in diesem Fall soll die Sitzungszeit der darauffolgenden Sitzung angepasst werden.

Auch hier – so verstehe ich uns als Antragssteller – haben wir flehentlich auf eine Antwort gehofft. Bekommen haben wir im Verwaltungsstandpunkt indessen nichts. Im Verwaltungsstandpunkt heißt es:

Eine kinderfreundliche Stadt muss sich auch um die Vereinbarkeit von Familie und Politik kümmern, um so auch Menschen, die Sorgearbeit leisten […], oder Menschen mit ungünstigen Arbeitszeiten die Möglichkeit zur Teilhabe ermöglichen. Die derzeitige Ausgestaltung des politischen Ehrenamts ist nicht familienfreundlich.

Zumindest dieser harte Satz steht darin.

Daran muss sich etwas ändern. Deswegen ist es Zeit, alle Bereiche zu durchleuchten und die Vereinbarkeit von Familie und Ehrenamt zu verbessern.

Nun ist die Zeitschiene im Verwaltungsstandpunkt sportlich und eröffnet eine enorme Herausforderung für die Verwaltung. Das Prüfergebnis wird dem Stadtrat nämlich im Rahmen der Beschlussvorlage im dritten Quartal vorgelegt.

Ich habe in diesem Moment meinen Optimismus zurück und möchte im Herbst nicht so enttäuscht werden wie mit dem aktuellen Verwaltungsstandpunkt. Wir als Antragsteller haben uns deshalb mit dem neusten Änderungsantrag entschieden, den Prüfauftrag noch breiter zu fassen, und hoffen auf Ihre Zustimmung. – Vielen Dank.”

Stadtrat Morlok (Freibeuter): “Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Herr Dr. Peter, wir müssen uns tatsächlich fragen, ob wir hier als Stadtrat in unserer Zusammensetzung die Gesellschaft tatsächlich wirklich repräsentieren. Ich bin sehr schnell bei Ihnen, dass das Thema Mütter und Frauen hier eine wichtige Rolle spielt und Mütter und Frauen hier in diesem Stadtrat unterrepräsentiert sind.

Ich glaube, wir müssen das Thema auch etwas weiter fassen. Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, wie wir hier im Stadtrat zusammensitzen, dann ist auch in anderen Punkten die Gesellschaft nicht repräsentiert. Ich sehe eine Personengruppe hier im Stadtrat, die im Verhältnis zur Gesamtgesellschaft deutlich überrepräsentiert ist, nämlich die Personengruppe derjenigen, die ihr Geld mehr oder weniger, ganz oder teilweise durch die Politik verdient. Diese Personengruppe ist hier deutlich überrepräsentiert. Da sollten wir uns fragen, warum das so ist. Denn die Stadtratsarbeit ist nämlich nicht nur nicht familienfreundlich, sondern sie ist auch nicht arbeitnehmer- oder unternehmerfreundlich. Warum gehen wir jetzt her und sagen, wir müssen jetzt ein Problem der Familienfreundlichkeit lösen, aber das Thema der Arbeitnehmerfreundlichkeit lösen wir nicht und das Thema der Unternehmerfreundlichkeit lösen wir auch nicht?

Frau März, Sie haben es angesprochen, dass es sicherlich auch ein Problem für einen Geschäftsführer von einem großen Unternehmen ist, hier Stadtratstätigkeit wahrzunehmen. Glauben Sie, dass es für den Geschäftsführer dieses großen Unternehmens eine finanzielle Frage ist, ob er die Stadtratsarbeit wahrnehmen kann, oder eher nicht? Das ist eine Frage der Abläufe und der Strukturen. Wenn wir es ernst meinen, Stadtratsarbeit arbeitnehmerfreundlich oder auch unternehmerfreundlich oder familienfreundlich zu gestalten, dann müssen wir an die Abläufe heran, die wir uns selbst geben. Wenn wir der Auffassung sind, dass wir Aufwendungen, die im Rahmen der Stadtratsarbeit anfallen, durch Aufwandsentschädigungen kompensieren, dann müssen wir ehrlicherweise auch alle Aufwendungen gleichermaßen kompensieren.

Ich kann natürlich nachvollziehen, dass es auch vom Ablauf her einfacher ist, jemanden einzustellen, die oder der dann eben die Betreuung vor Ort in der Wohnung übernimmt, als das Kind ins Rathaus mitzunehmen und dort bei der Kinderkrippe abzugeben. Das kann ich nachvollziehen. Dass da ein Aufwand entsteht, kann ich auch nachvollziehen. Wenn aber jemand selbstständig ist, vielleicht solo-selbstständig, und sein Büro erreichbar sein muss, während Stadtratssitzung oder Ausschusssitzung ist, und die Person eine Arbeitskraft einstellen muss, die Telefondienst im Büro macht, dann ist es zwar eine Betreuung des Telefons – das ist etwas anderes als die Betreuung eines Kindes -, aber es ist der gleiche zusätzliche Aufwand, der durch diese Ratsarbeit entsteht.

Warum wollen wir jetzt den Aufwand Tagesmuttti/Tagespapi finanziell entschädigen und den Aufwand Telefondienst nicht? Wo ist da die Gleichbehandlung? Das heißt, wenn schon, dann müssen wir das Thema viel weiter angehen. Wenn wir es mit Familienfreundlichkeit ehrlich meinen und wenn es nicht ums Geld geht, dann ist tatsächlich die Kindergrippe hier im Rathaus die Konsequenz. Das ist dann familienfreundlich. Oder wir diskutieren generell, ob die Aufwandsentschädigung unserem Aufwand angemessen ist. Ich bin gerne bereit, mit Ihnen darüber zu diskutieren. Da bin ich nicht der Auffassung, dass es gerecht ist.

Einzelne Personengruppen mit einer finanziellen Entschädigung herauszupicken, halte ich aber für problematisch. Das möchte ich der Verwaltung bei der Erarbeitung ihres Verwaltungsstandpunktes ausdrücklich mit auf den Weg geben. – Vielen Dank.”

(Es gilt das gesprochene Wort)