Abschleppen von verkehrsbehindernd geparkten Kraftfahrzeugen (VIIA-00898) Einreicher: Fraktion Freibeuter
Aus der Ratsversammlung am 16.09.2020
Stadtrat Köhler (Freibeuter): “Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Meine Damen und Herren Beigeordnete! Liebe Kolleginnen und Kollegen Stadträte! Liebe Zuschauer in der Halle und am Livestream! Geschätzte Pressevertreter! Der Antrag „Abschleppen von verkehrsbehindernd geparkten Kraftfahrzeugen“ wurde von uns mehrfach zurückgestellt, da eine tiefgehende externe Analyse zum Antrag vom letzten Jahr zugesagt wurde. Da dies aber bis heute nicht geschehen ist, steht der Antrag nun mit dreimonatiger Verzögerung auf der Tagesordnung.
Bevor ich beginne, einige Anmerkungen: Es gibt in Leipzig mehrere Urban Legends, oder zu Deutsch: moderne Mythen. Davon möchte ich drei benennen, aber im Rahmen dieses Antrags nur auf zwei eingehen. Der erste Mythos ist: Mit dem Kauf eines Autos erwirbt der Käufer ein Stück im Verkehrsraum, das die Größe seines Autos plus des erforderlichen Platzes zum Ein- und Ausparken hat, und diese Fläche begleitet ihn und sein Auto überall hin.
Der zweite Mythos ist: Mit dem Kauf eines Fahrrades erwirbt der Käufer profunde Kenntnisse der StVO und zusätzlich ein paar Sonderrechte im Straßenverkehr.
Der dritte Mythos ist: Die alleinige Zuständigkeit des OBM für Verwaltungshandeln – hier für den Umgang mit verkehrsgefährdend geparkten Fahrzeugen – entzieht sich der Zuständigkeit des Stadtrates, auch wenn durch das Handeln oder Nichthandeln ein rechtswidriger Zustand befördert wird.
Ich möchte mich hier mit der ersten und dritten Legende befassen. Die zweite lasse ich für heute einmal außen vor. Für den Antrag ist für mich der § 12 StVO, Halten und Parken. Ich zitiere aus Absatz 2:
“Wer sein Fahrzeug verlässt oder länger als drei Minuten hält, der parkt.”
Im Absatz 3 kommt dann das Parkverbot. Im Verwaltungsstandpunkt wird nun ausgeführt, dass es keine Regelentscheidung geben darf. Das veranlasst mich zu folgender Betrachtung: Es gibt in Leipzig nach Meinung der Verwaltung, die ja immer mit einer Stimme spricht, zwei Arten von Falschparkern. Das sind die guten, die auf Radverkehrsanlagen, in Kreuzungsbereichen oder an ähnlichen Stellen verkehrsbehindernd – besser gesagt: verkehrsgefährdend – parken. Für diese gilt die Einzelfallentscheidung. Zitat:
“Jede Anordnung einer Abschleppmaßnahme ist eine Einzelfallentscheidung, die angemessen und verhältnismäßig sein muss. Einzelfallentscheidung heißt, dass der konkrete Fall betrachtet werden und eine Abwägung stattfinden muss. Deshalb kann dazu auch keine „Regelentscheidung“ oder Festlegung, dass das Abschleppen der Fahrzeuge die angemessene Maßnahme darstellt, getroffen werden.”
Dann gibt es die bösen Falschparker. Für die kann eine Regelentscheidung getroffen werden. Das sind die, die die Parkdauer auf Kurzzeitparkplätzen um drei Stunden überschreiten. Die kann man nämlich regelrecht abschleppen. Mag sein, dass es da einen anderen Rechtstatbestand gibt, aber mir erschließt sich das nicht ganz.
Kommen wir aber auf den Verwaltungsstandpunkt und den Bezug zum Urteil des Oberverwaltungsgerichts Hamburg von 2011 zurück. Mag sein, dass es im Einzelfall für die Mitarbeiter des Ordnungsamtes ersichtlich ist, dass der Fahrzeugführer in Kürze das Fahrzeug entfernen wird. Aus dem Urteil ist aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls sicher, dass, wenn der Fahrer eines verkehrsordnungswidrig abgestellten Fahrzeugs in Kürze die Störung/Behinderung selbst beseitigen wird, eine Abschleppanordnung in der Regel nicht verhältnismäßig ist. Das Oberverwaltungsgericht spricht hier von „verkehrsordnungswidrig“, also ist nicht klar, ob es um verkehrsgefährdend abgestellte Fahrzeuge geht.
Woran macht man nun den ebenso unbestimmten Begriff „in Kürze“ fest? Ich erinnere an § 12 Abs. 2 StVO und die drei Minuten. In der StVO ist keine Rede von einer Zeit, die „in Kürze“ heißt. Wie und wann ist man sich sicher? Vielleicht, wenn man den Fahrer beim Friseur erwischt?
Ich möchte hier ein Urteil anführen, das eine Regelentscheidung befürwortet. Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat mit Beschluss vom 06.03.2015 festgestellt, dass das Abschleppen eines verkehrswidrig geparkten Pkw in einer Fußgängerzone regelmäßig mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar ist und das Vorliegen einer konkreten Verkehrsbehinderung nicht erforderlich ist. Hier ist eindeutig die Regelentscheidung schon für „verkehrswidrig“ möglich.
Kommen wir aber auf das „in Kürze“ zurück. Ich nehme hier Verstöße gegen § 12 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 5, also Parken im Kreuzungsbereich beziehungsweise an Bordsteinabsenkung, wobei letztere leider auch im Kreuzungsbereich im Leipzig oft nicht ein Zeichen von Barrierefreiheit, sondern vom schlechten Zustand der Gehwege und Bordsteine sind.
Die Verkehrsgefährdung besteht hier für Fußgänger – besonders Kinder und Menschen mit Behinderungen, nicht zu vergessen Mütter mit Kinderwagen – darin, dass ihre Sicht auf den Kreuzungsbereich eingeschränkt wird und sie sich zwischen den geparkten Fahrzeugen zur Fahrbahn vortasten müssen, natürlich auch für den Automobilverkehr und die Radfahrer, die dazu gezwungen werden, blind in den Kreuzungsbereich einzufahren. Eben dies soll ja durch diese Vorschrift geregelt werden.
Wird der Fahrzeugführer „in Kürze“ sein Fahrzeug entfernen? Hier gibt es eine einfache Möglichkeit, das zu prüfen. Ist der Motor des Kfz zum Beispiel kalt, dann hatte der Fahrzeugführer nicht einmal die Absicht, es in Kürze zu entfernen.
Ich möchte hier noch auf § 12 Abs. 3 StVO eingehen:
“Das Parken ist unzulässig, wenn es die Benutzung gekennzeichneter Parkflächen behindert.”
Im Zusammenhang mit dem Rückbau der Parkbuchten im Waldstraßenviertel – weil ständig Fahrzeuge auf der Fahrbahn daneben parkten und diese nicht mehr genutzt werden konnte – habe ich das schon einmal so formuliert: Ordnungspolitisch hat die Stadt Leipzig bereits kapituliert.
Das ist auch zu bemerken, wenn – allerdings schon 2018 – als Argument für den teuren Bau von Gehwegnasen die Formulierung verwendet wird: „Die ausgebauten Gehwege sollen als Hilfe beim Überqueren der Straße dienen und den Fußgängern das Umgehen von parkenden Autos erleichtern“.
Im Kreuzungsbereich – dort werden schließlich diese Gehwegnasen gebaut – darf kein Fahrzeug parken. Das ist aber kein Widerspruch gegen Gehwegnasen. Die haben noch ein paar andere Funktionen.
Für uns ist die Unwilligkeit beziehungsweise Untätigkeit des OBM und der Verwaltung nicht durch gesetzliche Regelungen oder Einschränkungen eindeutig begründet. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass es uns nicht um die sture Durchsetzung einer gesetzlichen Regelung, sondern um unser aller Verkehrssicherheit geht.”
Bürgermeister Prof. Dr. Fabian: “Herr Köhler, achten Sie bitte auf die Zeit.”
Stadtrat Köhler (Freibeuter): “Ich bin sofort fertig. In dem Zusammenhang freue ich mich natürlich besonders auf die Stimmen der CDU Stadträtinnen und -Stadträte, die natürlich unserem Antrag zustimmen werden. Denn wer zur Durchsetzung von Recht und Gesetz ein besetztes Haus sofort durch die Polizei räumen lassen will, der kann ja nicht anders als zuzustimmen, wenn es um regelmäßigen und gewohnheitsmäßigen Rechtsbruch geht.
Ein Hinweis zum Antrag noch: Wir haben den letzten Satz nicht geändert. Er hat für Irritation gesorgt, obwohl in der Begründung eigentlich eindeutig zu sehen ist, dass es um eine Illustration der Tätigkeiten anderer Städte und Gemeinden geht. Ich bitte um Zustimmung zum Antrag. – Danke.”
Stadtrat Morlok (Freibeuter): “Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Sehr geehrter Herr Rosenthal! Wir sind tatsächlich nicht einen Schritt weiter. Wir haben das Thema anlässlich des Antrages der LINKEN ausführlich diskutiert. Das Ergebnis war, dass ein Abschleppen in der Regel nur dann infrage kommt, wenn das Fahrzeug verkehrsgefährdend geparkt ist. Das ist ja genau die Frage, wie wir die Gefährdungssituation einschätzen.
Ich sage Ihnen – und das war die Diskussion vor zwei Jahren gewesen -: Ein Fahrzeug, das auf einem Radweg parkt, parkt in aller Regel verkehrsgefährdend, weil das Ausweichmanöver des Radfahrers auf die Straße, vom Radweg herunter, zu einer Gefahr führt. Ein Fahrzeug, das auf einer zweispurigen Straße auf dem rechten Fahrstreifen parkt und dort steht, wird in aller Regel abgeschleppt, weil es verkehrsgefährdend parkt.
Hier denke ich einmal als Beispiel an die Prager Straße, stadteinwärts auf dem rechten Streifen parkt ein Fahrzeug. Wie lange steht dieses Fahrzeug dort, bis es abgeschleppt wird? Nun parkt dasselbe Fahrzeug nicht auf der Straße, sondern zwei Meter weiter rechts auf dem Radweg, und kein Schwein kümmert sich darum.
Das ist das Problem, das wir hier haben. Wenn da nicht ein Umdenken einsetzt, dass dieses Fahrzeug genauso Gefahren auslöst – vielleicht nicht für einen Autofahrer, aber für einen Radfahrer -, wenn dieses Umdenken der Verwaltung nicht einsetzt, kommen wir hier keinen Schritt weiter. Wir haben lange diskutiert, wir haben viel versucht, aber es hat nicht geholfen. Deswegen bitte ich, dem Antrag meiner Fraktion zuzustimmen.”
(Es gilt das gesprochene Wort)