Politische Neutralität von Stadtverwaltung und öffentlichen Unternehmen: Wird mit zweierlei Maß gemessen?

Politische Neutralität von Stadtverwaltung und öffentlichen Unternehmen: Wird mit zweierlei Maß gemessen?

Anfrage:

Thomas Meyer, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der  Technischen Universität Dortmund, hat in seinem Standardwerk für Studierende der Politikwissenschaften “Was ist Politik?” (Wiesbaden, 2003) eine Definition von Politik veröffentlicht, wonach es sich dabei  um das Herbeiführen und Durchsetzen gesamtgesellschaftlich  verbindlicher Entscheidungen handelt. Dies erfolgt u.a. durch Gesetze.  Die Regelungen zur “Gesetzliche Rente” sind gesamtgesellschaftlich  verbindlich. Herbeiführen von Änderungen sind insofern Politik.

Der Oberbürgermeister hat als Chef der Stadtverwaltung und somit  maßgeblicher Vertreter des Gesellschafters der kommunalen Unternehmen dafür Sorge zu tragen, dass sowohl Verwaltung als auch  eben diese kommunalen Unternehmen politisch neutral agieren. Insbesondere kommt ihm diese Aufgabe in Wahlkampfzeiten zu.

Bei den Leipziger Verkehrsbetrieben ist seit vielen Wochen eine Straßenbahn mit Werbung zur Stärkung der Gesetzlichen Rente und Logos einer Gewerkschaft beklebt. Sie ist aktuell – also in einer Wahlkampfzeit  –  im Einsatz.

Hierzu fragen wir:

  1. Welche Regelungen gibt es für die Außenwerbung auf den Straßenbahnen der Stadt Leipzig?
  2. Wer darf werben und mit welchem Inhalt?

Anfrage im Allris

Antwort (mündlich in der Ratsversammlung):

Bürgermeisterin Dubrau:

Meine Damen und Herren!

Zur Frage 1.

Die Außenwerbung auf der Straßenbahn der Leipziger Verkehrsbetriebe wird durch die Ströer Media Deutschland GmbH auf Basis eines bestehenden Gestattungsvertrages kommerziell betreut. Das Anbringen von Parteienwerbung ist grundsätzlich nicht zugelassen.

Für die Entscheidung über die Freigabe der Werbung müssen ihr Inhalt und ihre Gestaltung nach Angaben der LVB folgenden Grundsätzen entsprechen – ich greife aus der sehr langen Liste jetzt nur einige heraus -: kein Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften und behördliche Anweisungen oder innerbetriebliche Regelungen, keine Beeinträchtigung des Gesamteindrucks des Werbeträgers, keine Beeinträchtigung des Straßenverkehrs, Ausschluss von Parteienwerbung, Ausschluss von Werbung mit religiöser Ausrichtung, Ausschluss des Verstoßes gegen die guten Sitten, gegen unlauteren Wettbewerb, gegen die Grundsätze des Deutschen Werberates, gegen Diskriminierung wegen Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft, Rasse oder Religion, Ausschluss von sexistischer Wort- und Bildsprache, Ausschluss von Werbung für Prostitution oder der Darstellung des Menschen als käufliche Ware, Ausschluss der Verherrlichung von Krieg und Gewalt, Verherrlichung der Zeiten des Nationalsozialismus, Ausschluss von Tabakwerbung, Ausschluss der Werbung gegen die Interessen der LVV-Gruppe. – Sie sehen, das ist ein breites Feld. Wie gesagt, auch die Werbung für Parteien ist ausgeschlossen.

Zur Frage 2.

Grundsätzlich jeder. Das heißt: Die Vergabe erfolgt diskriminierungsfrei zu marktüblichen Konditionen, jedoch ausschließlich und nur im Rahmen der oben geschilderten inhaltlichen Maßgaben. Darüber hinaus erfolgt eine Freigabe durch die Leipziger Verkehrsbetriebe in jedem Einzelfall. Diese Freigaben erfolgen nach Angaben des Unternehmens sowie bei unternehmenseigener Außenwerbung grundsätzlich entsprechend der städtischen Ziele der Leipziger Verkehrsbetriebe.

Das fragliche Fahrzeug wurde durch den Deutschen Gewerkschaftsbund als Vollwerbung für den Zeitraum vom 01.01. bis 31.10. zu den marktüblichen Konditionen gebucht. Die politische Neutralitätspflicht in Wahlkampfzeiten dient der Wahrung der Chancengleichheit der Parteien. Gewerkschaften sind aber keine Parteien. Sie stehen somit nicht zur Wahl. Die Werbung des DGB zielt auf die Stärkung der gesetzlichen Rente. Sie spricht damit weder eine Wahlempfehlung aus, auch nicht versteckt, noch ist aus dem Slogan eine Wahlempfehlung abzuleiten. Ein Verstoß gegen die politische Neutralitätspflicht in Wahlkampfzeiten im Sinne der Anfrage liegt also nicht vor. 

Neutralitätspflicht in Wahlkampfzeiten für das Wahljahr 2017

Neutralitätspflicht in Wahlkampfzeiten für das Wahljahr 2017

Anfrage:

Wie stellt der Oberbürgermeister während der sechs Wochen vor der Bundestagswahl 2017 sicher, dass es keine Kritikpunkte gibt, die aufgrund einer möglichen öffentlichen Diskussion Einfluss auf das Wahlverhalten der Bürger haben können?

Anfrage im Allris

Antwort:

Der Oberbürgermeister ist nicht verpflichtet, Kritikpunkte, die öffentlich diskutiert werden, zu verhindern oder gar Diskussionen zu untersagen. Eine öffentliche Diskussion auch und gerade vor Wahlen ist vielmehr gewünscht. Die Verwaltung hat jedoch darauf zu achten, dass sie bei aller öffentlichen Diskussion die Neutralität wahrt. Dies gilt ausdrücklich auch für die einzelnen Fraktionen der Ratsversammlung, die Teil der Verwaltung sind, und eben kein Organ einer Partei, auch wenn die Mitglieder der Fraktionen überwiegend einer Partei angehören und als Mitglied einer Partei einen Sitz in der Ratsversammlung erlangt haben. Daher wird vor jeder Wahl auf die besondere Neutralitätspflicht insbesondere in der heißen Wahlkampfphase, 6 Wochen vor dem Wahltag, ausdrücklich innerhalb der Verwaltung hingewiesen, so zuletzt auch vor der letzten Kommunalwahl.

Antwort im Allris