Erinnerungsort Capa-Haus dauerhaft sichern und weiterentwickeln

Antrag:

Der Oberbürgermeister wird beauftragt, dass der Erinnerungsort im Capa-Haus (Jahnallee 61) erhalten, institutionell an das Stadtgeschichtliche Museum angebunden und damit dauerhaft als öffentlich zugängliche Gedenkstätte auch finanziell gesichert und weiterentwickelt wird.

Begründung:

Die Rettung, Sanierung und Neuprofilierung des 2011 bereits zum Abriss vorgesehenen Capa-Hauses war eine bürgerschaftliche Großtat und „gilt in der Öffentlichkeit als ein Musterbeispiel für eine lebendige kommunale Erinnerungskultur“ (siehe „Positionspapier zur Situation und den Perspektiven des Capa-Hauses“ der Bürgerinitiative Capa-Haus vom 26. Mai 2021). Die in Zusammenarbeit von Stadtgeschichtlichem Museum, privatem Eigentümer, Hausverwaltung und bürgerschaftlichen Akteurinnen und Akteuren gelungene Einrichtung eines Gedenkraums zu den Ereignissen vom 18. April 1945 und zur weltberühmten Fotoserie von Robert Capa hat sich als wichtiger Baustein der städtischen Erinnerungskultur etabliert und zu zahlreichen bewegenden deutsch-amerikanischen Begegnungen geführt, die in der jährlichen Kranzniederlegung unter Teilnahme des Oberbürgermeisters und des US-Generalkonsuls gipfeln.

Ziel ist es, die beträchtliche bundesweite und internationale Ausstrahlung, die das Capa-Haus gefunden hat, auszubauen: für Kooperationen auch mit überregionalen deutschen Initiativen, sowie mit Partnerinnen und Partnern wie dem US-Generalkonsulat, ergänzt um die heutigen Repräsentantinnen und Repräsentanten der damaligen Anti-Hitler-Koalition. Die erst am 17. April stattgefundene Kranzniederlegung vor dem Capa-Haus durch die französischen Verbindungsoffiziere beim Leipziger Bundeswehr-Standort weist in diese Richtung. Die bestehenden Räumlichkeiten (Cafébereich) haben das Potential, in eine solche Nutzung im Rahmen von Vorträgen und bürgerschaftlichen Diskussionsforen einbezogen zu werden, was bisher allenfalls sporadisch erfolgen konnte.

Das Erdgeschoss im Capa-Haus befindet sich in Privateigentum. Die 2016 implementierte Betreiberkonstruktion, die einen privaten Café-Betrieb mit freier Zugänglichkeit des vom Stadtgeschichtlichen Museum und dem Initiativkreis Capa-Haus betreuten Gedenkraums verknüpfte, erwies sich zwar als grundsätzlich attraktive und kostenmäßig für das Erinnerungsanliegen zunächst günstige Lösung. Doch kam es bereits in der Vergangenheit wiederholt zu Interessenkollisionen zwischen Cafébetrieb und Gedenkanliegen, die unter den verschärften Bedingungen von Lockdown und Krise zu einer faktischen Schließung der momentan nicht eigenständig zugänglichen Erinnerungsstätte geführt haben. Angesichts der völlig ungesicherten Perspektive des in existentielle Schwierigkeiten geratenen und mit der Raumfinanzierung bisher völlig alleingelassenen Cafébetreibers besteht zudem die akute Gefahr, dass der Gedenkraum mit dem dort untergebrachten originalen Mobiliar, den historischen Fotobeständen sowie den Erinnerungsstücken an die amerikanischen Befreier zweckentfremdet oder in Mitleidenschaft gezogen wird.

Daher braucht es zügig eine koordinierte Initiative zur Sicherung des Erinnerungsortes, die nur in einer nunmehr auch formalisierten Anbindung des Gedenkraums an das Stadtgeschichtliche Museum sowie einer städtischen Kraftanstrengung zur Sicherung der öffentlichen Zugänglichkeit auch unter veränderten Rahmenbedingungen bestehen kann. Durch die bevorstehende Umwandlung der Bürgerinitiative Capa-Haus in einen Arbeitskreis der Hieronymus-Lotter-Gesellschaft zur Förderung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig e.V. wurden bereits erste Voraussetzungen für eine organisatorische Verstetigung der bürgerschaftlichen Unterstützungsarbeit auf den Weg gebracht.

Im Kern geht es darum, die historische Relevanz des Ortes dauerhaft im Bewusstsein der Leipziger Stadtbevölkerung und der Besucherinnen und Besucher unserer Stadt zu verankern und die weit über Leipzig hinausreichende Ausstrahlung des authentischen Geschichtsortes zu bewahren. Dabei sollte ein Schwerpunkt auf dem im Leipziger Westen ohnehin entstehenden erinnerungskulturellen Cluster rund um NS-Diktatur, Widerstand, Befreiung 1945 (Memorial Ecke Karl-Heine/ Zschochersche Straße) und soziale Bewegungen (Erich-Zeigner-Haus, Felsenkeller) gelegt werden. Eine Sicherung und Profilierung der Erinnerungsstätte Capa-Haus im Verbund des Stadtgeschichtlichen Museums ist dafür ein zentraler Baustein, der jetzt die nötige Weiterentwicklung und fachliche Qualifizierung dieser bisher weitgehend bürgerschaftlich und kleingewerblich getragenen Netzwerkarbeit garantiert.

Um alle genannten Ziele zu erreichen, soll im Einvernehmen mit dem privaten Eigentümer der Immobilie und im Einklang mit dem entstehenden Konzept zur städtischen Erinnerungskultur möglichst bis Ende 4. Quartal eine institutionelle Anbindung des Gedenkraums an das fachlich bereits mitbetreuende Stadtgeschichtliche Museum erfolgen.

Verwaltungsstandpunkt:

Die Verwaltung bietet einen Alternativvorschlag an.

Strategische Ziele:

Mit der Umsetzung einer institutionellen Anbindung des Capa-Hauses als Gedenkort an das Stadtgeschichtliche Museum wird das Ziel verbunden, lokal verantwortliches Handeln, sowie die Vielfalt der Leipziger Erinnerungskultur zu erhalten und zu stärken sowie durch eine Zusammenarbeit der Akteure eine lebendige in die Zukunft gerichtete Erinnerungskultur für die Stadt zu befördern.

Sachverhalt:

1. Begründung

Das Capa-Haus ist in der Tat ein bedeutender Geschichtsort in Leipzig, an dem sich ungewöhnlich viele Facetten der städtischen Erinnerungskultur bündeln. Es ist ein Ort der Befreiung und des Kriegsendes, der angesichts der tragischen Geschehnisse rund um die letzten Kämpfe nochmals augenfällig macht, wohin Nationalsozialismus, Angriffskrieg und generell autoritär-antidemokratische Gesellschaftsentwicklung führen. Die berühmt gewordene Fotoserie Robert Capas, die zugleich für das Thema der historischen Bildchronistik steht, hat dabei dem Ort eine weit über Leipzig hinausreichende symbolische Bedeutung verliehen, die sich seit der Einrichtung eines kleinen Gedenkraumes als anschlußfähig für auch überregional beachtete Erinnerungsaktivitäten wie etwa die Kranzniederlegung im April erwiesen hat.

Das Thema Befreiung 1945 kann an keinem anderen Ort in Leipzig so überzeugend verhandelt werden wie hier am durch ikonische Bildzeugnisse beglaubigten Ort letzter Kriegstoter einschließlich des nahe gelegenen Memorials gegenüber dem Felsenkeller (die amerikanische Kommandantur in der Runden Ecke wird immer hinter dem 1989er-Branding des Gebäudes zurücktreten, und auch für die Geschichte und Wirkung des Neuen Rathauses und des Völkerschlachtdenkmals sind die Zerstörungen und Toten vom April 1945 nur ein heute weitgehend überdeckter Teil sehr viel umfassenderer Gesamterzählungen).

Die im Zusammenspiel von bürgerschaftlichen Akteuren, umsichtigen Immobilienentwicklern sowie städtischen Partnern wie dem Stadtgeschichtlichen Museum gelungene Rettung und Neuprofilierung des Hauses dürfte tatsächlich als Best-Practice-Beispiel einer kooperativen und engagierten Erinnerungskultur gelten; sie ist in dieser Weise selbst ein (ge)denkwürdiges Geschehen.

Zudem hat sich der Ort in den letzten Jahren als Stätte bewegender Zeitzeugenbegegnungen erwiesen; auch von US-Militärstellen geschätzt, ist er de facto ein idealer Themenanker für Projekte und Anliegen der deutsch-amerikanischen Freundschaft und Zusammenarbeit einschließlich des US-Generalkonsulats. Nicht zuletzt sind im Raum Lindenau-Plagwitz in den letzten Jahren Konturen eines neuzeitorientierten Geschichtsclusters entstanden, der Themen der Arbeiterbewegung (Felsenkeller, Zeigner-Haus) mit Aspekten der Befreiung und des Neuanfangs 1945 verknüpft (Memorial, Zeigner als Oberbürgermeister des Wiederaufbaus nach der Befreiung). Dafür ist das Capa-Haus ein höchst relevanter Bestandteil mit zusätzlich internationaler Dimension.

Auch die Schlussfolgerungen des Papiers sind zielführend und treffen sich mit den Intentionen des in die Entwicklung des Capa-Hauses seit langem eingebundenen Stadtgeschichtlichen Museums.

Tatsächlich erweist sich trotz der genannten stadthistorischen und erinnerungskulturellen Bedeutung das gegenwärtige Betreibungs- und Nutzungsregime als so nicht dauerhaft tragfähig und krisenfest. Insbesondere die Monate der coronabedingten Einschränkungen haben dazu geführt, dass der mit den Mietkosten des Gedenkraums seit Jahren allein gelassene Gastronomiebetreiber eine Zugänglichkeit des Raums nicht mehr sicherstellen konnte und zeitweise sogar die Veräußerung des Mobiliars und der Vermittlungsmittel im Raum stand, was aber durch entsprechende Interventionen sowie eine aus Restmitteln von 2020 geleistete “Einlagerungspauschale Kulturgut” für das letzte Quartal 2020 vom Stadtgeschichtlichen Museum verhindert werden konnte.

Angesichts der völlig unsicheren Perspektive von Cafe und insolventem Betreiber wird sich ohne nachhaltige Verbesserungen an diesem sehr unbefriedigenden und immer nur provisorisch geöffneten Zustand nichts ändern.

Klar ist, dass es im Sinne einer dauerhaft ertragreichen Weiterentwicklung weiterer Gespräche mit dem Eigentümer Wastlhuber sowie dem grundsätzlich sehr unterstützend auftretenden Immobilienentwickler Langer bedarf, um für die gesamte Cafefläche sinnvolle Perspektiven zu entwerfen. Voraussetzung dafür ist jedoch nach Einschätzung aller Beteiligten, dass der Gedenkraum selbst unter allen Umständen und Nutzungsszenarien als öffentlich zugänglicher Museumsraum gesichert wird.

Das Stadtgeschichtliche Museum hat bereits über die Jahre hinweg die Einrichtung und die Aktivitäten des Capa-Hauses engagiert begleitet. Die dort gezeigten Objekte und Bildquellen stammen teils ohnehin aus deren Fundus, somit ist es naheliegend und sehe ich auch das Stadtgeschichtliche Museum in der Verantwortung, auch strukturell Flagge zu zeigen und den Gedenkraum künftig als Zweigpräsentation des Stadtgeschichtlichen Museums in Obhut zu nehmen.

Voraussetzung dafür wäre ein Stadtratsbeschluss, der auch eine überschaubare Mittelressource für verstärkte Vermittlungsaktivitäten sowie die technische Pflege des Raumes sicherstellt. Inhaltlich und von der fachlichen Betreuung ist das eine schöne Chance für das Stadtgeschichtliche Museum, sich im Leipziger Westen mit einem relevanten zeithistorischen Standort stärker zu profilieren, neue Kooperationen etwa mit der Schaubühne, dem Felsenkeller, dem Erich-Zeigner-Haus und dem TDJW ermöglicht und dem in Form der Caferäume auch Flächen für neue Veranstaltungs- und Zeitzeugenformate zur Verfügung stünden. Das Capa-Haus kann generell zu einer Spielfläche der stadtteilorientierten Bürgerpartizipation des Stadtgeschichtlichen Museums werden. Man könnte auch daran denken, bestimmte transportable erinnerungskulturelle Sonderausstellungen, für die gegenwärtig meist nur die Wandelhalle des Neuen Rathauses zur Verfügung steht, in den Caferäumen des Capa-Hauses zu zeigen (in Abhängigkeit von einem gegebenenfalls veränderten gastronomischen oder anderen Konzept). Dass der Initiativkreis Capa-Haus dabei ist, sich als Arbeitskreis innerhalb der Fördergesellschaft des Stadtgeschichtlichen Museums neu zu konstituieren, ist ein schätzbarer Vorgriff auf diese Situation und ein gutes Signal bürgerschaftlicher Kooperationsbereitschaft.

Das Stadtgeschichtliche Museum ist nach eigener Auskunft zur Übernahme von struktureller Verantwortung bereit und könnte mit überschaubaren Zusatzmitteln sowie unter Einsatz auch von ehrenamtlichen Unterstützern eine Betreuung der Räumlichkeit sowie gegebenenfalls auch die Absicherung von Öffnungszeiten außerhalb oder unabhängig vom Cafebetrieb sicherstellen.

Die Vorbereitung einer Beschlussvorlage mit einer detaillierten Darstellung der benötigten finanziellen Mittel wird geprüft. Dabei bleibt es weiterhin wichtig, die Gespräche mit den genannten Interessenvertretern fachlich zu begleiten und voranzutreiben

2. Realisierungs- / Zeithorizont (entfällt bei Ablehnung des Antrags)

Die Vorbereitung einer Beschlussvorlage mit einer detaillierten Darstellung der finanziellen Mittel wird voraussichtlich bis Ende 4. Quartal erfolgen.

Status:

Der Antrag wurde in der Ratsversammlung am 15.09.2021 mit 60/0/1 mehrheitlich beschlossen.

Antrag im Allris