Bericht des Oberbürgermeisters – “Querdenken”-Demonstrationen in Leipzig und das sächsische Staatsversagen

“Querdenken”-Demonstrationen in Leipzig und das sächsische Staatsversagen (VII-DF-02067) Einreicher: Fraktion DIE LINKE

Aus der Ratsversammlung am 11.11.2020

Stadtrat Köhler (Freibeuter): “Herr Oberbürgermeister am Livestream! Herr Bonew! Werte Damen und Herren Beigeordnete! Werte Kolleginnen und Kollegen Stadträte! Liebe Zuschauer am Livestream! Verehrte Medienvertreter!

Zu Beginn möchte ich – nein, eigentlich muss ich – sagen: Die Fraktion Freibeuter, sowohl FDP als auch die Piratenpartei, betrachten das Versammlungsrecht als ein essentielles Recht in der Demokratie. Auch wenn es uns mitunter wünschenswert erscheint, so ist es doch richtig, dass die Hürden für ein Demonstrationsverbot sehr hoch angelegt sind. Auch wenn es uns nicht gefällt: Eine Demokratie muss damit leben und sich gegen Exzesse aller Seiten wehren können.

Kommen wir zum Samstag, dem 07.11.2020. Die Verlegung der geplanten Demonstration der „Querdenken“-Bewegung auf das Gelände der neuen Messe schränkte die Demonstrationsfreiheit unserer Meinung nach in keinster Weise unzumutbar ein, war aber dazu geeignet, im Sinne der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung Gefahren für Leben und körperliche Unversehrtheit der Leipziger Bürger*innen zu verhindern. Welche Gründe das Oberverwaltungsgericht in Bautzen zu dem Beschluss führten, diese doch auf dem Augustusplatz zu genehmigen, soll nicht mein Thema sein. Es ergeben sich aber natürlich Fragen zum Demonstrationsort und insbesondere zum letzten Satz der gestrigen Pressemitteilung des OVG, der lautet:

Damit

– also mit einer unkontrollierten Situation in der Innenstadt; das ist jetzt meine Einfügung aus dem vorherigen Satz –

sei jedoch bei der von der Stadt Leipzig verfügten Verlegung der Versammlung zur Neuen Messe zu rechnen gewesen, da der Antragsteller bereits angekündigt habe, seine Versammlung dort nicht durchzuführen.

Das bedeutet: Für mich ist das eine Ankündigung, es ist eine Androhung. Wir gehen sowieso nicht dorthin, wir sind in der Innenstadt, ob ihr uns lasst oder nicht. Das ist ein Fall für Juristen, die sollen sich darum kümmern. Davon haben wir ja genug.

Adressieren wir einmal die Verantwortlichkeit für die Eskalation. René Hobusch hat für die FDP – ich spreche ja hier immer für zwei Parteien – so formuliert:

Polizei, die nicht in der Lage ist, Auflagen durchzusetzen. Die Angriffe auf Journalisten nicht unterbinden kann. Die einen verbotenen Marsch gewähren lassen muss, weil sie personell das Recht nicht durchsetzen kann. Das ist klassisches Führungsversagen bei der Polizei und im Innenministerium. Und zwar wiederholt. Dass dann Wasserwerfer abends in Connewitz zum Einsatz kamen, nicht aber am Nachmittag zur Verhinderung der Rechtsbrüche, ist die Krönung des Versagens im Amt.

Ich habe es für die Piratenpartei Sachsen ähnlich gesehen. Es ist erschreckend, dass die schlecht vorbereitete Einsatzleitung erst nach Stunden die Versammlung aufgrund der massenhaften Verstöße gegen die Auflage für beendet erklärte. Was darauf folgt und noch läuft – als ich das geschrieben habe, lief es noch -, ist nur mit katastrophal zu bezeichnen. Gegendemonstranten werden von der Polizei eingekesselt; die Polizeiabsperrung wird geschwächt und von den Demonstranten überrannt; Hooligans, Nazis und andere Corona-Leugner ziehen über den Innenstadtring. Journalisten und Demonstranten werden angegriffen; auch die Polizei selbst wurde attackiert.

In einer Stadt, in der bei linken Demos massive Polizeieinsätze mit schwerem Gerät die Regel sind, kann den Bürger*innen, die sich in der Pandemie vorbildlich verhielten, nur schwer erklärt werden, warum der Corona-LeugnerWanderzirkus, gepaart mit Rechtsradikalen, nicht ebenso im Zaum gehalten werden kann.

Natürlich darf man hier Verantwortung nicht an die Polizei adressieren. -“

Bürgermeister Bonew: “Die Zeit, bitte.”

Stadtrat Köhler (Freibeuter): “Okay, machen wir es kurz: Die Verantwortung liegt nicht bei der Polizei, sondern die liegt bei der Polizeiführung. Die liegt bei der Führung, die diesen Einsatz zu verantworten hat.

Wenn ich hier lese, dass die Aufgabe der Polizei so beschrieben wird, dass an erster Stelle die Absicherung der Versammlung steht, an zweiter Stelle die Verhinderung von Gewalt und an dritter Stelle der Infektionsschutz, dann frage ich mich: Warum trennt man hier die Auflagen für die Versammlung vom Infektionsschutz? Das ist ein- und dasselbe. Zur Absicherung der Versammlung gehört für mich auch die Durchsetzung der Auflagen.

Die Fragen zu der Gefahrenprognose der Polizeidirektion vom 05.11. wurden schon gestellt, die muss ich hier nicht wiederholen. Ich möchte aber darauf hinweisen – -“

Bürgermeister Bonew: “Bitte kommen Sie zum Schluss. Die Redezeit ist jetzt um zwei Minuten überschritten. – Nein, letzter Satz, bitte.”

Stadtrat Köhler (Freibeuter): “Okay. Die Verantwortlichen haben – das tut nicht nur mir als Leipziger weh – für verstörende Bilder gesorgt. Sie haben dazu gesorgt, dass am 7. November Menschen über den Leipziger Ring zogen und das Erbe der Montagsdemonstranten konterkarierten. – Punkt, ich mache nachher weiter.”

 

Stadtrat Köhler (Freibeuter): “Ich bin natürlich ein bisschen erschüttert: Einmal über die Auslegung der Corona-Inzidenz durch den Kollegen Schultz und zum anderen auch über das Statement von Herrn Kriegel zu den 1989ern. Ich meine, ich war auch dabei. Ich habe das schon einmal betont. Dort standen fried- und freiheitsliebende Menschen, die sich selbst organisiert und verantwortungsvoll verhalten haben, gegen eine Polizeipräsenz und eine Präsenz unter anderem der Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die beim ersten Anzeichen von Gewalt losgeschlagen hätte. Ich bitte darum, weder die Ziele der 89er noch die Art der Demonstration hier zu vermischen.

Was mich aber noch interessiert, ist: Wie kommt eigentlich dieses erste Statement unseres Polizeipräsidenten, in dem von einem weitgehend friedlichen Verlauf und von circa 30 Straftaten am Rande der Demonstration – vorwiegend Sachbeschädigungen – zu hören war, zustande?

Wie kommen die Äußerungen, ob nun vom Ministerpräsidenten oder vom Innenminister, zustande, die von einem weitgehend erfolgreichen

Polizeieinsatz sprechen und von einem weitgehend friedlichen Verlauf? – Davon war nämlich nichts zu sehen.”

(Es gilt das gesprochene Wort)