Ausstieg aus dem Fernwärmebezug aus Lippendorf

Ausstieg aus dem Fernwärmebezug aus Lippendorf (VI-A-08196-NF-02)   Einreicher: Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Aus der Ratsversammlung am 30.10.2019

Stadtrat Morlok (Freibeuter): Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, wir benötigen Alternativen zu Lippendorf, nicht erst, weil der Braunkohleaussteig auf der Bundesebene inzwischen beschlossen ist. Wir haben uns auch bereits vorher darüber Gedanken gemacht, wie es ohne Lippendorf in Leipzig in der Fernwärme weitergehen könnte, und haben die entsprechenden Verträge gekündigt. Damit ist man bewusst ins Risiko gegangen, denn man hatte eine langfristige Lieferverpflichtung von Lippendorf, die hat man nun nicht mehr. Das heißt, jetzt müssen wir, die Stadtwerke, uns selbst Gedanken machen, wie wir die Versorgungssicherheit sicherstellen, mit Lippendorf, teilweise mit Lippendorf oder durch andere Maßnahmen. Ich bin der Auffassung, dass die Versorgungssicherheit ein sehr hohes Gut ist und dass man gut überlegen muss, ob es tatsächlich realistisch ist, dass das Gaskraftwerk im avisierten Zeitraum gebaut werden kann. Wir bauen ein Gaskraftwerk in der Stadt – sicherlich nicht an einem Wohnstandort, das ist ein Gewerbestandort -, aber dennoch ruft so etwas bei den Anliegern, bei den Menschen, die dort wohnen, erst einmal Befremden, vielleicht auch Ängste hervor. Und wir sind auch alle nicht davor gefeit, dass diese Ängste, weil sie nicht ausgeräumt werden können, letztendlich in Klagen gegen eine entsprechende Baugenehmigung münden. Das wissen wir heute alles nicht. Ich persönlich hoffe es nicht, aber es kann natürlich passieren. Bei einem solchen Projekt, wo es solche emissionsschutzrechtlichen Rahmenbedingungen gibt, wird eine solche Klage mit Sicherheit eine aufschiebende Wirkung haben. Es wird also nicht erlaubt werden, dass man die Klage zwar behandelt, aber weiterbauen darf, sondern die Klage wird eine aufschiebende Wirkung haben. Und wenn Sie überlegen, wie Gerichtsprozesse, wie Verhandlungszeiten in der Bundesrepublik Deutschland sind, dann können Sie für sich selber überlegen, wie wahrscheinlich denn tatsächlich die Inbetriebnahme des Kraftwerks für Ende 2022 ist. Ich meine, sie ist relativ unwahrscheinlich, wenn wir eine Klage bekommen, ansonsten klappt es vielleicht.

Die Frage ist: Wie gehen wir als Politik mit dieser Situation um? Da kann es aus meiner Sicht eine kluge Entscheidung sein, mit Lippendorf einen Vertrag zu schließen, der regelt: Wie gehen wir mit einer Situation um, wenn wir Havarien haben, wenn wir in bestimmten Situationen die Energie selbst nicht produzieren können. Klar, wird man dafür etwas geben müssen. Vertragsfreiheit ist immer ein Geben und Nehmen. Unter Umständen müssen wir uns zu geringen Abnahmemengen von Fernwärme verpflichten, um einen solchen Vertrag schließen zu können. Aber wir bekommen dafür auch etwas. Wir zahlen dann unter Umständen für Fernwärme, die wir auch selbst hätten herstellen können. Wenn wir sie aber von Lippendorf beziehen, dann müssen wir sie selber nicht herstellen und sparen uns dafür die Kosten – und auch das CO2. Eine Mindestabnahmemenge für Lippendorf heißt also, Geld an Lippendorf für Fernwärme zu zahlen, die man vielleicht nicht braucht. Aber man spart die Ausgaben für die eigene Fernwärme ein. Geld für eine Option zu zahlen – also wenn es mal eng wird, dürfen wir vielleicht etwas von euch beziehen -, heißt, das Geld ist in jedem Fall weg, weil die Optionsprämie bezahlt werden muss. Wir bekommen nichts, aber auch gar nichts dafür! Da frage ich mich: Was ist ökonomisch sinnvoller: sich eine Gegenleistung dafür einzukaufen oder es einfach in den Wind zu schreiben? Ich sage ganz klar, auch unter Berücksichtigung der Fernwärmepreise in Leipzig: Ich wähle lieber die Option, etwas dafür zu bekommen, als einfach etwas zu bezahlen, unter Umständen ohne etwas dafür in Anspruch zu nehmen. Wir sollten auch mal überlegen, wie eine weitere Zusammenarbeit aussieht. Herr Zenker hat bereits die Themen Biomasse und thermische Abfallverwertung angesprochen. Ich denke, wir sind uns einig, dass die Errichtung solcher Anlagen in Leipzig nicht nur ökonomisch sinnvoll wäre, sondern auch ökologisch. Und sie sind an einem bestehenden Kraftwerksstandort – Thema Klagen usw. usf. – sicherlich schneller realisierbar als irgendwo anders auf der grünen Wiese, wo es bisher noch keine Kraftwerksstandorte gibt. Den Grünen sind ökonomische Argumente oft nur schwer nachvollziehbar, manchmal auch sogar zuwider, aber vielleicht können Sie sich den ökologischen Argumenten anschließen: Eine Partnerschaft mit Lippendorf kann bedeuten, Biomasse früher zu realisieren. Eine Partnerschaft mit Lippendorf kann bedeuten, thermische Abwasserverwertung früher zu realisieren als ohne. Und die Frage ist: Ist es nicht auch ökologisch sinnvoll, für ein paar Jahre frühere Realisierung dieser Maßnahmen ein bisschen Fernwärme aus Braunkohle in Kauf zu nehmen? Ist es nicht auch ökologisch besser, als den Gesprächsfaden zu Lippendorf abzubrechen und in Kauf zu nehmen, dass die Realisierung dieser Projekte Biomasse und thermische Abwasserverwertung um Jahre nach hinten geschoben wird? Ich appelliere an Sie: Seien Sie nicht nur ökonomisch vernünftig, sondern auch ökologisch; tun Sie das, was der Oberbürgermeister uns in seinem Verwaltungsstandpunkt vorgeschlagen hat, und stimmen Sie dem zu. Ich habe Sie vorhin kritisiert, Herr Oberbürgermeister, in dem Falle lobe ich Sie. Das ist eine vernünftige und ausgewogene Herangehensweise. – Vielen Dank.

(Es gilt das gesprochene Wort)