Ausrufung Klimanotstand

Ausrufung Klimanotstand (VI-A-07961)   Einreicher: Jugendparlament/Jugendbeirat

Aus der Ratsversammlung am 30.10.2019

Stadtrat Morlok (Freibeuter): Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, dass es den Klimawandel gibt, wird niemand ernsthaft bestreiten. Wir können uns sicherlich trefflich darüber streiten, wie hoch der Anteil des Menschen am Klimawandel ist, aber ich denke, auch hier ist unstrittig – egal, wie man die Höhe bemisst -, dass er einen erheblichen Anteil am Klimawandel hat. Ich denke, es ist auch unstrittig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Handlungsbedarf besteht.

Die Frage ist, wie wir mit dieser Situation ganz konkret heute hier im Stadtrat umgehen. Das Jugendparlament hat dazu eine klare Position formuliert: Ausrufung des Klimanotstandes; der Klimaschutz hat höchste Priorität. Was im Umkehrschluss auch heißt, dass alle anderen Dinge nachrangig sind und sich dem Ziel Klimaschutz unterzuordnen haben. Frau Janssen hat das heute noch einmal deutlich gemacht, indem sie gesagt hat, dass die Dinge nicht aufschiebbar seien. Es wird deutlich: Nach den Vorstellungen des Jugendparlaments muss sich kurzfristig etwas ändern.

Es gibt einen Verwaltungsstandpunkt des Oberbürgermeisters, in dem er auch den Notstand ausrufen möchte, dann aber darauf verweist, dass der Abwägungsprozess des INSEK unverändert bleibt und sich somit kurzfristig gar nichts ändert.

Welches Konzept, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, ist klarer, stringenter und schlüssiger? – Ich meine, es ist das des Jugendparlaments. Man kann die Vorstellung des Oberbürgermeisters – wenn man das etwas böswillig tun möchte – mit einem Einsetzen für ein entschiedenes Sowohl-als-auch beschreiben. Und das hat, Herr Oberbürgermeister, eben etwas mit der Verwendung von Sprache zu tun.

Sprache wird bisweilen missbraucht. Ein Extrem dieses Missbrauchs haben wir in der Zeit des Nationalsozialismus gesehen. Aber es ist nicht vorbei. Auch heute wird Sprache missbraucht. Denken Sie an Wörter wie „Lügenpresse“ oder wie heute ganz aktuell im Stadtrat „Volkserziehung“. Auch heute wird Sprache missbraucht, und die Polarisierung unserer Gesellschaft hat auch etwas mit dem Ge- oder Missbrauch von Sprache zu tun.

Herr Oberbürgermeister, Sie sind Germanist. Sie haben junge Menschen in der deutschen Sprache unterrichtet. Sie sollten das wissen. „Prioritär“ heißt nun einmal „vorrangig“. Und wenn der Klimaschutz prioritär ist und Sie im nächsten Satz sagen, dass der Zielabwägungsprozess des INSEK unverändert bleibt, indem er eben nicht prioritär ist, Herr Oberbürgermeister, dann machen Sie den Menschen etwas vor. Und wenn Sie einen Notstand ausrufen wollen, von dem Sie wissen, dass er üblicherweise in der Politik mit Sofortmaßnahmen der Exekutive verknüpft wird, mit temporären Einschränkungen von Freiheitsrechten von Bürgern, wenn Sie mit diesem Wissen diesen Begriff verwenden, dann verwenden Sie die deutsche Sprache wenn nicht missbräuchlich, dann zumindest doch sehr stark missverständlich. Sie lassen die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger, bewusst im Unklaren, was Sie eigentlich wollen. Populismus ist nicht links und nicht rechts, er ist überall dort, wo man einen einfachen Weg geht, wo man auf einer Welle mitschwimmt, wo man keine Haltung zeigt. Es ist besonders schlimm, wenn man es wider besseres Wissens tut.

Die Frage ist: Was für einen Oberbürgermeister haben wir? Einen, der Haltung zeigt, der schwierigen Debatten nicht ausweicht und damit die Stadt auf einen Weg führt, oder einen, der eher Kandidat und Wahlkämpfer ist, der mitschwimmt, ausweicht und die Dinge im Unklaren lässt? – Das Schlimme ist: Sie haben ja ein Stadtentwicklungskonzept, Herr Oberbürgermeister. Ich zitiere:

Im Mittelpunkt steht, das Wachstum ökologisch, sozial und ökonomisch ausgewogen zu gestalten.

Das ist aus Ihrem Arbeitsprogramm. Darin steht aber nicht, dass der Klimaschutz prioritär ist. Es

steht eben darin: „ökologisch, sozial und ökonomisch ausgewogen“. Das ist nun einmal etwas anderes, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die Frage ist: Wie gehen wir heute damit um? – Frau Krefft, Sie haben gesagt, Sie halten Ihren Beschlusspunkt 6, die Änderungen, aufrecht, die entsprechenden Aufforderungs- und Maßnahmenpläne zu erarbeiten. Wir als Freibeuter können dem zustimmen für den Fall, dass Sie den Klammerzusatz „zum Flughafen“ streichen. Denn, Frau Krefft – das gehört auch dazu, wenn wir die Sprache verwenden und Zuständigkeiten scharf abgrenzen -, dafür sind wir als Stadtrat nicht zuständig. Die Zuständigkeit liegt, wenn überhaupt, bei der Landesregierung. Ich weiß, es werden gerade Koalitionsverhandlungen in dieser Frage geführt; Herr Volger ist mit dabei. Herr Volger: Dort gehört es hin. Nehmen Sie es mit nach Dresden, lassen Sie es uns hier herausstreichen, dann finden wir da eine einvernehmliche Lösung.

Herr Oberbürgermeister, zu Ihnen: Was der Stadtrat heute entscheidet, haben Sie nicht in der Hand. Ich auch nicht. Wir haben beide jeweils nur eine Stimme. Aber, was sie Ihnen zur Entscheidung vorlegen, haben Sie sehr wohl in der Hand. Und da lese ich jetzt in der Synopse, die Sie uns verteilen ließen, wie man mit den Änderungsanträgen umgehen soll, dass die Anschaffung von Fahrzeugen in der Eigenverantwortung der Verwaltung liegt. Wir reden über Klimanotstand, wir reden über weltweite Folgen, wir reden vielleicht auch über die Gefährdung von Menschenleben im Zusammenhang mit dem Klimanotstand, und Sie sagen: Fahrzeuge sind meine Angelegenheit. – Das klingt ein bisschen bockig. Das klingt ein bisschen wie: Das ist meine Zuständigkeit, das ist meine Spielwiese, das ist mein Sandkasten. – Wir reden über das Weltklima. Der Oberbürgermeister denkt über seine Zuständigkeiten nach. Herr Oberbürgermeister, ich formuliere es hart: Das ist armselig, das ist demaskierend, und das ist entlarvend. Denn das zeigt genau, was Sie wollen. Sie wollen den Notstand ausrufen – vielleicht weil nächstes Jahr Wahlen sind -, aber ändern soll sich nichts. Es zeigt auch, was für ein Kleingeist Sie eigentlich sind.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gute ist – Herr Zenker hat darauf hingewiesen -: Wir leben in einer Demokratie. Im Februar ist Oberbürgermeisterwahl, und alle Leipzigerinnen und Leipziger können dort entscheiden, was Sie von dieser Politik halten. Und wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, können heute im Stadtrat entscheiden, ob wir einen Notstand ausrufen wollen – ob man das will oder nicht, kann man diskutieren -, bei dem sich nichts ändert, oder ob man – für den Fall, dass man zu einer Mehrheit für die Notstandsausrufung kommt – Sofortmaßnahmen beschließt. Deshalb mein Appell an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn Sie auch unseren Anträgen zur Sprache vielleicht nicht folgen können, folgen Sie unserem Antrag zu den Sofortmaßnahmen! Zeigen Sie dem Oberbürgermeister die rote Karte. Machen Sie deutlich, dass es mit Durchwursteln nicht geht. Wir brauchen auf jeden Fall klare Haltung. – Vielen Dank

 

Stadträtin Rudolph (Freibeuter): Herr Oberbürgermeister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wurde alles gesagt, nur noch nicht durch jeden. Ganz speziell, Herr Keller, an Sie: Nichts für ungut, aber das Argument, dass 1989 kein Notstand ausgerufen wurde, ist bei weitem der größte Quatsch, den ich heute gehört habe. Ich glaube, dass das Thema Politikverdrossenheit, was mein Vorredner eben ansprach, auch daher kommt, dass wir immer wieder sagen: Wir machen doch schon, wir haben das bis jetzt doch alles auch ganz toll gemacht. – Ja, das

stimmt, aber es reicht nicht. Deswegen müssen wir zu anderen Maßnahmen greifen.

Die Maßnahme, es „Klimanotstand“ zu nennen, ist auch aus meiner Sicht nicht richtig, der Sache den nötigen Nachdruck zu verleihen jedoch sehr. Ich glaube nicht, dass wir mit dieser Diskussion, die wir hier führen, darüber reden, wer daran schuld ist, wie wir es bis wann besser machen, wie wir es nennen. Das ist Nonsens. Darüber brauchen wir nicht abzustimmen. Wir brauchen auch nicht darüber abzustimmen, wo es herkommt und wie viel Prozent Anteil der Mensch jetzt daran hat. Das werden wir nicht entscheiden, da können wir abstimmen, das ist völliger Quatsch. Wichtig ist für mich, dass wir konkret werden. Wir müssen uns jetzt mit Maßnahmen beschäftigen. Die Frage, ob wir das Notstand nennen, hin oder her, aber lassen Sie uns konkret darüber reden, wer was bis wann macht und wie wir die Verwaltung dazu in die Pflicht nehmen. – Danke.

(Es gilt das gesprochene Wort)