Auswirkungen der Einführung eines 365-Euro-Tickets

Anfrage:

Anlässlich der Diskussion um die Einführung eines 365-Euro-Tickets fragen wir an:

  1. Um welchen Betrag müsste sich der jährliche Zuschuss der Stadt an die LVV/LVB erhöhen, um die Einführung eines 365 Euro Tickets zu ermöglichen?
    1. Gegenüber dem Zuschuss aus dem Haushalt 2019
    2. Gegenüber dem Zuschuss aus dem Nachhaltigkeitsszenario?
  2. Wie viele Fahrgäste müssten auf Grund eine höheren Inanspruchnahme des ÖPNV bei der Einführung eines 365 Euro Tickets jährlich zusätzlich befördert werden?
    1. Gegenüber dem Jahr 2018?
    2. Gegenüber dem Nachhaltigkeitsszenario?
  3. Zu welchen Tageszeiten wird der erhöhte Beförderungsbedarf im Wesentlichen anfallen?
  4. In welcher Höhe wären zusätzliche Investitionen zur Abdeckung des erhöhten Beförderungsaufwands erforderlich?
    1. Bei der LVV gegenüber den aktuellen Wirtschaftsplanung?
    2. Bei der LVV gegenüber dem Nachhaltigkeitsszenarios?
    3. Bei der Stadt gegenüber den aktuellen Haushalt und der aktuellen Mittelfristplanung?
    4. Bei der Stadt gegenüber dem Nachhaltigkeitsszenario?
  5. Welcher Zeitraum würde angesichts der erforderlichen Planung, Genehmigung, Umweltverträglichkeitsprüfungen etc. zwischen Beschlussfassung des Projektes und Erlangung des Baurechts vergehen?
  6. Mit welchen Bauzeiten muss bei Verkehrsprojekten dieser Größenordnung gerechnet werden?

Anfrage im Allris

Antwort (mündlich in der Ratsversammlung):

Bürgermeisterin Dubrau:

Ich habe hierzu eine Gesamtantwort vorbereitet. – Grundsätzlich wäre im Vorfeld der Einführung eines 365-Euro-Tickets eine abschließende Bewertung dieses Tarifprodukts mit einer umfangreichen Folgekosteneinschätzung unabdingbar, was in so kurzer Zeit gar nicht regelbar ist.

Gerade weil in diesem Zusammenhang oft das Wiener Modell als Vorlage für die Einführung eines 365-Euro-Tickets genannt wird, das eine Vielzahl von Indikatoren liefert, ist ein vorheriger Abgleich mit den Zielen und deren Erreichung in Wien sowie deren Übertragung auf Leipzig maßgeblich. Dies betrifft insbesondere das Verständnis der Einbettung in einen verkehrspolitischen Rahmen, die Zielformulierung und die Erwartungen, die daran geknüpft sind, sowie letztendlich auch die Klarheit über Aufwand und Ergebnispotenzial.

Aktuell können zur Einführung eines 365-Euro-Tickets noch keine belastbaren Aussagen getroffen werden, da dies die Initiierung eines äußerst komplexen Eingriffs in das Angebot und die Preisstruktur des Leipziger ÖPNV einschließlich der S-Bahn darstellen würde, dessen Auswirkungen zum jetzigen Zeitpunkt und ad hoc weder vollständig noch im Detail abgeschätzt werden können. Die Beantwortung der in der Anfrage formulierten Einzelfragen würde eine entsprechende Evaluierung und Prüfung mit einem angemessenen zeitlichen Vorlauf erfordern.

Im Rahmen der Erarbeitung der Szenarien für die „Mobilitätsstrategie 2030 für Leipzig“ – Sie erinnern sich; wir haben sie hier sehr ausführlich diskutiert – wurde ein 365-Euro-Ticket zwar nicht explizit untersucht; jedoch wurden sowohl im Gemeinschaftsszenario als auch im Fortführungsszenario eine Fahrpreiskonstanz bzw. Tarifvarianten mit höheren öffentlichen Zuschüssen betrachtet, die auch der Vorlage „Mobilitätsstrategie 2030 für Leipzig“ zu entnehmen sind. Der Stadtrat hat sich in Kenntnis und auf Basis dessen im vergangenen Jahr für das Nachhaltigkeitsszenario als Grundlage für die Planung und Priorisierung von Verkehrsprojekten und -kampagnen ausgesprochen.

Noch ein Wort zum Wiener Modell: Nach meiner Kenntnis gibt nicht nur die Stadt Wien Direktzuschüsse an die Träger des öffentlichen Nahverkehrs, um die Preise zu senken und Bürgern die Chance zu geben, im Prinzip für 1 Euro pro Tag, wenn man denn täglich fährt, zu fahren, sondern es werden auch alle Betriebe über die sogenannte Dienstgeberabgabe herangezogen. Diese entspricht in etwa der in Deutschland diskutierten Nahverkehrsabgabe.

Immerhin fließen über diese Abgabe in das Stadtsäckel von Wien 70 Millionen Euro, die dann umgewidmet werden können, beispielsweise für die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs – ein Thema, das im Zusammenhang mit möglichen Szenarien der Finanzierung hier auch schon besprochen worden ist, aber zurzeit in Deutschland noch jeglicher Rechtsgrundlage entbehrt.

Oberbürgermeister Jung:

Herr Morlok.

Stadtrat Morlok (Freibeuter):

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Frau Dubrau, ich bin von der Antwort etwas enttäuscht, weil ich Kenntnis davon habe, dass innerhalb der Stadtverwaltung weitergehende Informationen verfügbar sind, zu denen Sie heute nichts gesagt haben. Deswegen muss ich jetzt vorsichtig nachfragen. Frau Dubrau, ist Ihnen bekannt, dass es Untersuchungen hinsichtlich der Fahrgaststeigerungen gibt, die auch in Leipzig vorliegen, wonach bei Einführung eines 365-Euro-Tickets die Anzahl der Fahrgäste um circa 3 Prozent steigen und diese Fahrgaststeigerung vor allem die Hauptverkehrszeiten betreffen würde?

Bürgermeisterin Dubrau:

Mir ist bekannt, dass es vor zwei Tagen einen Workshop gegeben hat, bei dem man sich mit diesen Themen befasst hat. Aber Sie müssen verstehen, dass das nicht innerhalb von zwei Tagen ausgewertet und in der Intensität, wie hier danach gefragt worden ist, dargestellt werden kann. Deshalb habe ich in meiner Beantwortung mehrfach gesagt: So kurzfristig funktioniert das einfach nicht. Ein direkter Vergleich zwischen Wien und Leipzig ist nur schlecht möglich. Ob nun 3 oder 3,5 Prozent: Das sind im Moment nur Annahmen. Man muss schon etwas tiefer in diese Thematik einsteigen.

Stadtrat Morlok (Freibeuter):

Aber 3 Prozent, Frau Dubrau, sind unter 10 Prozent. Wahrscheinlich werden es nicht über 50 Prozent sein. Bürgermeisterin Dubrau: Das ist anzunehmen. Ich habe an der Diskussion nicht teilgenommen und auch nur über Dritte davon gehört. Daher würde ich jetzt ungern eine offizielle Information in den Stadtrat geben.

Stadtrat Morlok (Freibeuter):

Frau Dubrau, ist Ihnen bekannt, dass die Leipziger Verkehrsbetriebe circa 110.000 Kunden haben, die ein Jahres-Abo haben.

Bürgermeisterin Dubrau:

Ja.

Stadtrat Morlok (Freibeuter):

Das ist Ihnen also bekannt. Ist Ihnen auch bekannt, dass die Differenz zwischen dem Preis für ein Jahres-Abo und 365 Euro sich in einer Größenordnung zwischen 200 und 300 Euro bewegt? Bürgermeisterin Dubrau: Ja. Stadtrat Morlok (Freibeuter): Können Sie nachvollziehen, dass man, wenn man beide Angaben miteinander multipliziert, zu dem Ergebnis kommt, dass durch die Einführung eines 365-Euro-Tickets allein im Abo-Bereich ein Einnahmenausfall der Verkehrsbetriebe in einer Größenordnung von 20 bis 30 Millionen Euro eintreten würde, ohne dass eine Lenkungswirkung entstehen würde, weil die Abo-Kunden ja sowieso schon mit der LVB unterwegs sind?

Bürgermeisterin Dubrau:

Ja. Wenn man das so vereinfacht rechnet, ist es sicher so. Aber in anderen Städten, die ein solches Ticket schon eingeführt haben, konnte nachgewiesen werden, dass der Anteil an Benutzern des öffentlichen Nahverkehrs gestiegen ist, und zwar um mehr als 3 Prozent. Insofern ist das ein Anreiz. Aber in allen Städten, wo es schon eingeführt worden ist – das hatte ich eben schon gesagt -, funktioniert es nur durch Zuschüsse der öffentlichen Hand, wo und wie diese auch immer erzielt werden, teilweise direkte Zuschüsse, teilweise auch durch entsprechende Umlegung, wie zum Beispiel in Wien über eine Abgabe durch die Wirtschaft, vergleichbar einer Nahverkehrsabgabe.

Stadtrat Morlok (Freibeuter):

Sie sagten eben, Sie hätten keine belastbaren Aussagen zur Erhöhung der Fahrgastzahlen nach Einführung des 365-Euro-Tickets, haben dann aber ausgeführt, es gebe Beispiele aus anderen Städten, dass die Einführung eines solchen Tickets einen gewissen Fahrgasteffekt hat. Können Sie zu diesen Erfahrungen heute Ausführungen machen?

Bürgermeisterin Dubrau:

Nein. Ich hatte ja gesagt: Das ist ein sehr umfängliches Fragenpaket, was innerhalb von zwei Tagen tatsächlich nicht beantwortet werden kann, weil dies umfangreiche Recherche- und Auswertungstätigkeiten erfordert. Auch wenn es schon erste Gespräche hier in Leipzig dazu gab: Das ist keine Sache, die man mal einfach aus dem Ärmel schüttelt. Wir haben uns in Zusammenhang mit den Mobilitätsszenarien schon sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt. Daran waren auch Sie sehr intensiv beteiligt. Insofern ist Ihnen ja das Thema grundsätzlich bekannt.

Stadtrat Morlok (Freibeuter):

Sie sagen heute: Sie wissen, dass es Fahrgasteffekte positiver Art gibt. Aber Sie wissen nicht, in welcher Größenordnung.

Bürgermeisterin Dubrau:

Richtig.

Oberbürgermeister Jung:

Vielen Dank, Frau Dubrau. – Wir werden uns, denke ich, mit diesem Thema noch mal sehr umfassend beschäftigen, wenn der Antrag, der dazu im Verfahren ist, hier im Stadtrat auf der Tagesordnung steht.
Zur Wahrheit gehört: In der Tat gab es diesen Workshop, Herr Morlok. Aber Kollegin Dubrau kann nicht innerhalb von nur zwei Tagen den letzten Stand wiedergeben. Ich bitte da um Verständnis. Aber wir werden das, was wir wissen, sehr ausführlich in den Verwaltungsstandpunkt einfließen lassen, den wir zurzeit erarbeiten. Herr Morlok.

Stadtrat Morlok (Freibeuter):

Wäre es möglich, die Antworten, die Frau Dubrau heute nicht gegeben hat, bis zur Behandlung des Antrags in zweiter Lesung hier im Stadtrat vorzulegen? Wäre es Ihnen möglich, Frau Dubrau, sich in diesem Zusammenhang auch mit den Kollegen der LVB in Verbindung zu setzen, um die entsprechenden Informationen zu erlangen?

Bürgermeisterin Dubrau:

Wir haben uns bereits mit der LVB in Verbindung gesetzt. Die Informationen, die ich bekomme, kann ich Ihnen gern zur Verfügung stellen. Aber ich kann das jetzt nicht zusagen; denn nicht ich bin diejenige, die die Zahlen liefert, sondern wir bekommen sie von einem Dritten. 

[…]

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